Das Referat für Arbeit und Wirtschaft hat die Forderung aus der Bürgerversammlung vom Oktober abgelehnt, das Tempo der Tram St. Emmeram entlang der Cosimastraße nachts zwischen 22 und 7 Uhr von maximal 60 auf 50 zu reduzieren. Jetzt erneuerte die CSU-Fraktion im Bezirksausschuss (BA) wegen wiederholter Lärmbeschwerden den Antrag. Das Kommunalparlament vertagte aber das Anliegen auf die August-Sitzung, um bis dahin Details zu klären.

Der Bürger hatte seinerzeit angeführt, dass die Geschwindigkeit 60 km/h der Linien 16 und 18 zu Geräuschbelästigungen führen und somit die Nachtruhe der Anwohner gestört wird. Das Referat – Chef ist der zweite Bürgermeister Josef Schmid (CSU) – hatte mit Bezug auf eine Erklärung der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) den Sachverhalt dargelegt.

„Die Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit 60 km/h werde durch die MVG regelmäßig überwacht. Eine Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit hätte längere Fahrzeiten (ca. 10 %) und damit einen deutlichen Rückgang der Attraktivität der Tram für Fahrgäste zur Folge.“ Wegen der längeren Fahrzeiten müsste dann ein zusätzliches Fahrzeug eingesetzt werden. „Zudem hätten längere Fahrzeiten erhebliche Auswirkungen bei der Anschlusssicherung“, heißt es weiter.

Dann kommen die Kostenargumente: „Es besteht die begründete Gefahr, das bei einer Geschwin­digkeitsreduzierung eine Zweckentfremdung von Fördermitteln vorliegt. Die Kosten für den Umbau der Lichtsignalanlagen entlang der Strecke zur Bevorrechtigung der Trambahn mit entsprechender Beschleunigungswirkung waren Teil der geförderten Baukosten. Eine Temporeduzierung würde diese Maßnahmen konterkarieren und könnte daher als Zweckentfremdung gewertet werden. Es besteht das Risiko einer Rückzahlung von Fördergeldern.“

Und: „Einbußen bei den Fahrgeldeinnahmen wären zu erwarten, die sich vorab nicht abschätzen lassen. Von der Fahrzeitverlängerung wären zudem jährlich rund 200 000 Fahrgäste betroffen, was einen nicht unerheblichen Betrag erwarten lässt.“

Anwohner der Cosimastraße beschweren sich, können nachts nicht mehr ruhig schlafen. Doch die Straßenbahn nach St. Emmeram – als „Flüstertram“ bezeichnet, weil sie ein Rasengleisbett hat – hält laut Angaben der Stadtwerke München nach Lärm- und Erschütterungsmessungen die Grenzwerte ein.
Anwohner der Cosimastraße beschweren sich, können nachts nicht mehr ruhig schlafen. Doch die Straßenbahn nach St. Emmeram – als „Flüstertram“ bezeichnet, weil sie ein Rasengleisbett hat – hält laut Angaben der Stadtwerke München nach Lärm- und Erschütterungsmessungen die Grenzwerte ein.

Zum Lärm wird ausgeführt: „Grundsätzlich unterstellt die Forderung, dass eine Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit von 60 auf 50 km/h automatisch zu einer Reduzierung der subjektiv wahrgenommen Lärmemissionen führen würde. Dies sei aber laut MVG keineswegs sicher.“

Um den Anwohnern „eine angenehme Nachtruhe zu ermöglichen“ kappte das CSU-Trio Xaver Finkenzeller, Kilian Mentner und Tassilo Strobl in seinem jetzt präsentierten Antrag die Zeit der Temporeduzierung auf 50 km/h entlang der Cosimastraße um eine Stunde, nämlich von 22 bis 6 Uhr.

„Die MVG-Angaben, dass durch die Reduzierung die Frequentierung in der Bevölkerung und auch die Umsätze sinken würden, entbehren nicht nur jeder Grundlage, sie sind auch noch falsch. Zwischen 22 und 6 Uhr sind die Trambahnen nicht ausgelastet. Es ist nicht plausibel, wieso deshalb mit Einbußen zu rechnen ist“, heißt es in der Begründung.

Weiter wird erläutert: „Dass eine Reduzierung der Straßenbahngeschwindigkeit um 10 km/h bereits zu erheblichen Verbesserungen führt, zeigt ein Blick in das Merkblatt des bayerischen Landesamts für Umwelt für Straßenbahnen. Danach kann eine Reduzierung von 5 bis 8 dB erreicht werden. Dies wäre eine Erleichterung für die geplagten Bürger, bedenkt man, dass eine Pegeländerung um 10 dB etwa einer Verdoppelung bzw. Halbierung der subjektiv empfunden Lautstärke entspricht.“

Zur Antwort der Stadt sagte Finkenzeller im Stadtteilgremium: „Das ist wirklich eine Verhohnepiepe­lung.“ Er plädierte für eine Umsetzung der Maßnahme zur Fahrplanänderung im Dezember, warf der MVG „kapitalistische Gedankengut“ vor.

Diese Aussage belegte der stellvertretende BA-Vorsitzende und CSU-Landtagsabgeordnete Robert Brannekämper: „Versprochen wurde eine Flüster-Tram, doch das Ergebnis ist bedrückend. Gegen den Rat von Akustikern wurde bei der Dämmung des Gleisunterbaus im Bereich der Haltestellen auf Schallschutz-Maßnahmen verzichtet.

Pro Quadratmeter hätte das 1000 Euro gekostet, in der Summe rund drei Millionen Euro. Damit hätte es das heutige Problem nicht gegeben. Jetzt aber ist dieser Mangel da, jeden Tag!“

Dem stimmte Andreas Nagel, DacG-Politiker und Sprecher der Aktion Münchner Fahrgäste, zu: „Das war ein Schmarrn, auf so etwas zu verzichten. Es war ein Fehler, dass drei Millionen gespart wurden. Man muss den Stadtrat zwingen, mehr neue Züge anzuschaffen, die leiser sind.“ Indes unterstellte Nagel den Christsozialen „eine Trambahnphobie“, forderte sie auf: „Hören’s auf mit dem Unsinn, hören’s einfach auf, die Trambahn zu bekämpfen, das ist doch ein totaler Schaufenster­antrag.“

Martin Tscheu (SPD), Vorsitzender des Unterausschusses Verkehr, lehnte den CSU-Vorstoß ab: „Trambahnen fahren durch ganz München, es geht also um Lärmbelästigung für alle Anwohner in der Stadt. Wenn Tempo 50, dann für alle Straßenbahnen, dann macht’s Sinn. Dann wird’s aber teuer.“ Die Mehrkosten für die MVG bezifferte Tscheu mit „600 000 bis 700 000 Euro.“

Zu Tempo 60 km/h in der Cosimastraße erklärte Brannekämper: „Jeder Autofahrer muss hier 50 fahren. Bei 60 ist der Bremsweg der Tram wesentlich länger. Ich hab’s mal bei einem Mitschüler erlebt – dem wurde ein Bein abgefahren.“

Karl Nibler von den Grünen, von Beruf Straßenbahnfahrer, erzählte von seinem Test bei offenem Fenster im Führerstand: „Ob 50 oder 60, ich habe so gut wie keinen Lärmunterschied vernommen. Bei 50 km/h bremst und beschleunigt eine Tram an einer Haltestelle um etwa fünf Sekunden weni­ger bzw. länger.“ Und: „Wer in der Großstadt lebt, hat den Lärm zu akzeptieren.“ Mit Unverständnis reagierten die meisten Lokalpolitiker auf letztere Ausführung.

Handy-Foto vom Tachometer einer stadtauswärts fahrenden Straßenbahn, aufgenommen auf Höhe der Beckmesserstraße. Die rote Nadel steht bei 62.     Foto: Stroell
Handy-Foto vom Tachometer einer stadtauswärts fahrenden Straßenbahn, aufgenommen auf Höhe der Beckmesserstraße. Die rote Nadel steht bei 62. Foto: Stroell

Grundsätzlich ist laut Straßenverkehrsordnung erlaubt, dass Schienfahrzeuge 60 km/h fahren. Laut Nibler erfasst ein Fahrtenschreiber, wie schnell die Straßenbahn fährt. Eine Tram könne technisch nicht schneller als 62 km/h – maximal 64 km/h bei einigen Zügen – fahren. Niblers Parteikollege Holger Machatschek will’s genau wissen. Er forderte Lärmmessungen bei Tempo 50 und 60.

„Tempo 60? Oft fahren die Züge sogar noch schneller“, behauptete Ursula Stroell bereits Anfang 2013 bei einem Treffen der Anlieger. Ihre Aussage hatte sie seinerzeit untermauert mit einem Handy-Foto vom Tachometer einer Straßenbahn, stadtauswärts auf Höhe der Beckmesserstraße aufgenommen.

Die rote Nadel steht bei 62. Auch „Tempo 65 und mehr“ habe sie schon gesehen. Indes sind die mit einem Mobiltelefon geschossenen Bilder verwackelt, lassen keinen Rückschluss zu.

„Die Straßenbahn fährt sogar mit Tempo 70, und zwar auf dem leicht abschüssigen Abschnitt vor der Wendeschleife in St. Emmeram“. Das sei keine Schätzung, er sei mit seinem Auto parallel zur Tram gefahren und habe die Geschwindigkeit auf der digitalen Anzeige in seinem Wagen abgele­sen, hatte bei der Zusammenkunft ein Anwohner beteuert. Um dies zu belegen wurden damals privat organsierte Radarmessungen an verschiedenen Standorten zu unterschiedlichen Zeiten erwogen. Es blieb aber bis dato bei der Anregung.

Genau an besagtem Abschnitt machte „Unser Bogenhausen“ jetzt einen dreifachen Praxistest, fuhr mit dem Auto exakt auf Höhe der Tram. Das Ergebnis: Die digitale Tempoanzeige im Auto zeigte zweimal 63 km/h und einmal 64 km/h. Auf ebener Strecke entlang der Cosimastraße wurde Tempo 60 nicht überschritten.

Wie’s weiter geht – das beraten demnächst die Mitglieder des Untergremiums Verkehr und dann kann das Kommunalparlament bei seiner Tagung im August auf Basis der Empfehlung einen Beschluss fassen.