10. August 2016

Vertraulich und zur Verschwiegenheit verpflichtet waren einige Mitglieder des Bezirksausschusses von Stadtbaurätin Elisabeth Merk über die neuesten Pläne zur Siedlungsentwicklung (SEM) im Nordosten jenseits der S-Bahnlinie unterrichtet worden, ehe die betroffenen kommunalen Gremien offiziell informiert wurden. Indes hatte Merk vorab Münchner Tageszeitungen über den Stand ein­geweiht, der veröffentlicht worden war. Das hatte im Bogenhauser Kommunalparlament Zoff aus­gelöst, die CSU-Fraktion hatte einen Dringlichkeitsantrag gestellt. Die Hintergründe und die Fakten.

Ursprünglich waren von der Stadt 10 000 künftige Bewohner genannt worden, nunmehr könnten auf dem knapp 600 Hektar großen Areal – eingerahmt von der Trasse der S8 zwischen Daglfing und Johanneskirchen, von den Grenzen zu den Gemeinden Unterföhring und Aschheim sowie dem Lebermoosweg (ehemalige Gütergleis-Trasse) und der Riemer Straße – frühestens ab dem Jahr 2030, wahrscheinlicher ist das Jahr 2035, etwa 15 000 bis zu maximal 18 000 Wohnungen gebaut werden. Also eine sehr dichte Bebauung – allerdings mit viel Grünflächen – für mindestens 30 000, möglicherweise sogar rund 36 000 Menschen.

Letztere Zahl, 36 000 Bewohner, würde in etwa erreicht, wenn man die Anlagen des Münchner Reitvereins, die Galopprennbahn in Riem wie auch die Trabrennbahn in Daglfing auflöst, wogegen sich die Lokalpolitiker rundum schon lange vehement wehren.

Und zu all dem: Vormals sollten rund 2000 Arbeitsplätze entstehen, jetzt wurde die unglaubliche Zahl 12 000 genannt.

Das größte Bauvorhaben Münchens, die „Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme“ (SEM) im Nordosten – eingerahmt von der Trasse der S8 zwischen Daglfing und Johanneskirchen, von den Grenzen zu den Gemeinden Unterföhring und Aschheim sowie dem Lebermoosweg (ehemalige Gütergleis-Trasse) und der Riemer Straße. Es ist die (Wohn)-Zukunft der Stadt frühestens ab 2030, wenn etwa 150 000 Menschen mehr in der Metropole leben werden.   Karte: Planungsreferat
Das größte Bauvorhaben Münchens, die „Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme“ (SEM) im Nordosten – eingerahmt von der Trasse der S8 zwischen Daglfing und Johanneskirchen, von den Grenzen zu den Gemeinden Unterföhring und Aschheim sowie dem Lebermoosweg (ehemalige Gütergleis-Trasse) und der Riemer Straße. Es ist die (Wohn)-Zukunft der Stadt frühestens ab 2030, wenn etwa 150 000 Menschen mehr in der Metropole leben werden. Karte: Planungsreferat

CSU-Fraktionssprecher Xaver Finkenzeller holte bei der Tagung des Stadtteilgremiums tief Luft, blickte streng in die Runde, dann konnte er kaum mehr an sich halten, legte wegen der bekannt gewordenen Planungen gestenreich los:

„Ohne den Bezirksausschuss zu unterrichten – das ist eine Frechheit, das ist eine Sauerei, das ist unverschämt, das kann nicht sein, das geht so nicht. So lassen wir nicht mit uns umgehen. Ich ärgere mich maßlos, was diese Frau sich anmaßt. Das ist auch kein Umgang mit den betroffenen Grundstückseigentümern.“

Einmal in Fahrt erklärte Finkenzeller: „Merk informiert – sie informiert aber falsch und unvollständig! Es gibt nämlich nicht drei Planvarianten, sondern fünf. Sobald ich sie sehe, werde ich ein Hühnchen mit ihr rupfen. Die Frau ist an der falschen Stelle.“ Als er den Begriff „Rücktritt“ erwähnte, mischte sich Holger Machatschek von den Grünen ein: „Im Stadtrat gibt’s doch eine starke CSU-Fraktion. Die kann doch Merks Rücktritt fordern.“ CSU-Rat Tassilo Strobl stellte zur Sache klar: „Es geht nicht um den Zeitpunkt der Unterrichtung, sondern um die Reihenfolge.“

Der Antrag
Die Lokalpolitiker waren ob Merks Vorstoß verärgert, ja richtig sauer, billigten einstimmig die drei Punkte umfassende CSU-Initiative. „Der Bezirksausschuss fordert die Stadt und insbesondere die Stadtbaurätin Prof. Dr. Merk auf,

  • umgehend darzulegen, aus welchen Gründen bereits vor der ordentlichen Beteiligung der kommu­nalen Gremien und der Eigentümer diese Unterlagen an die Öffentlichkeit geraten sind;
  • darzustellen, wie die Eigentümer nun zukünftig beteiligt werden sollen. In diesem Zusammenhang gebietet es der Anstand, dass zunächst den betroffenen Eigentümern die Planung vorgelegt wird und erst dann mit der Öffentlichkeit – im Februar 2017 – eine entsprechende Diskussion stattfindet. Hierauf hat der Bezirksausschuss bereits mehrfach die Stadtbaurätin hingewiesen.

Die Aussage der Stadtbaurätin, Reihenhäuser wird es im Rahmen der städtebaulichen Entwick­lung nicht gegen, ist inakzeptabel und verstößt im Übrigen auch bereits zum heutigen Zeitpunkt gegen das Abwägungsgebot. Eine offene, sachgerechte Abwägung schneidet die Stadtbaurätin damit von Anfang an ab. Sie wird aufgefordert, umgehend diese Aussage zurückzunehmen und dafür Sorge zu tragen, dass auch die zukünftigen Planungen unter anderen den Reihenhäusern eine Möglichkeit als Entwicklungsziel geben.“

Termin Februar 2017 (siehe zweiter Punkt des Antrags)
Derzeit erarbeiten vier Planungsbüros, die sich in einer europaweiten Ausschreibung durchgesetzt haben, bis zum kommenden Frühjahr detaillierte Gutachten und Entwicklungsziele. Die verkehrliche, soziale, kulturelle und sportliche Infrastruktur sowie ökologische und klimatische Belange werden dabei in ein integriertes Struktur­konzept zusammen geführt. Dann wird die Öffentlichkeit eingebunden.

Erste Bürgerbeteiligung im Juli 2014
Merk betont seinerzeit bei der Podiumsdiskussion, es gelte „kurzfristig die wichtigen Dinge zu formulieren und langfristig entsprechende Pläne zu fertigen. So bekommen wir ein echtes Strukturkonzept“. Sie will aus Betroffenen Beteiligte machen, also stets die Bürger einbinden. Das gelte auch für die 300 bis 400 Grundstücksbesitzer, die „sicherlich sehr schwer unter einen Hut zu bringen sein werden“, wie ein Anwohner meinte. Diesbezüglich liegt im Rathaus ein CSU-Antrag vom 5. Juli 2014 vor: Die Stadt soll die Eigentümer „eigenständig informieren und sie zu den Veranstaltungen einladen“

Eine Bürgerin bei der Beteiligung im Juli 2014
„31 500 Einwohner sind laut Gutachten zur Langfris­tigen Siedlungsentwicklung (LaSie) vorgesehen.“ Merk beruhigte seinerzeit die Frau:

„Die Zahl zeigt theoretisch mögliche Szenarien auf. Ich kann keine Zahl nennen – außer jener vom Flächennut­zungsplan von 1986, der von 10 000 ausgeht.“

Felder, Wiesen Wege – überwiegend Landschaft pur – prägen heute das Gebiet entlang zwischen Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen.    Foto: Planungsreferat
Felder, Wiesen Wege – überwiegend Landschaft pur – prägen heute das Gebiet entlang zwischen Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen. Foto: Planungsreferat

S-Bahn-Tunnel
Den im Februar 2012 im Rathaus gefassten Beschluss, die S-8-Strecke zwischen den Stationen Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen viergleisig auszubauen und in einen Tunnel zu verlegen, hat der Stadtrat im Juni bestätigt. Auch die Bahnhöfe sollen unter der Erde angelegt werden.

Die Mitglieder des Bezirksausschusses hatten das Votum „und die damit die Berücksichtigung ihrer jahrelangen Forderung mit großer Zustimmung zur Kenntnis genommen.“

Kosten für den S-Bahn-Tunnel
Die Aufwendungen betragen laut aktuellen „Berechnungen inkl. mögl. Steigerung des Baukostenindex“ bis zur Inbetriebnahme etwa 970 Millionen Euro, wovon die Stadt etwa 800 Millionen Euro beitragen muss. Überdies werden zusätzliche Kosten erwartet, weil unter anderem „erhöhte Auflagen zum Brandschutz zu beachten sind“.

Neuer Nebeneffekt des S-Bahn-Tunnel-Baus
Ein bislang kaum beachteter Flächengewinn von rund 45 000 Quadratmetern. Laut Angaben des Planungsreferats bietet dieses Areal Platz für zusätzliche 500 bis 1000 neue Wohnungen.

Variante I „Perlenkette“
Drei etwa gleich große „Siedlungskörper“ liegen wie an einer Perlenschnur entlang der S-Bahn von Süd nach Nord aufgereiht. Der Bach Hüllgraben wäre eine natürliche Grenze. Die U4, bislang Endstation Arabellapark, wird über den S-Bahnhof Englschalking weitergeführt ins Zentrum des Quartiers, wobei drei neue U-Bahn-Stationen vorgesehen sind.

Variante II „Hüllgraben“
Diese Planung würde die bauliche Lücke zwischen Englschalking und Riem schließen, zieht sich lang in östliche Richtung. Die U4 würde bis zur Messestadt Riem weiter geführt, der Anschluss an die U2 wäre gegeben.

Variante III „Küstenlinie“
Grüne „Zungen“ – daher die Bezeichnung – lockern das Neubaugebiet auf, die bis an den Rand des Aschheimer Ortsteils Dornach reicht. Die verlängerte U4 würde über Englschalking und Dornach zur Messestadt verlängert.

Verkehr
In zwei der drei Planungen sind überdies Straßenbahn- beziehungsweise Buslinien vor­gesehen. Alle Varianten beinhalten eine Straße in Nord-Süd-Richtung, die (südlich) bei Trudering an den Schatzbogen und (nördlich) bei Unterföhring an die Kreisstraße 3 (M 3) angeschlossen würde. Wiederholt wurde dazu in der ZDF-Gemeinde und in Bogenhausen gefordert, endlich die Engstelle Föhringer Ring zu beheben, in dem man ihn auf vier Spuren erweitert.

– Titelbild: Planungsreferat –