30. Juni 2016

Führt die Stadtverwaltung, in diesem Fall speziell die Verantwortlichen im Planungsreferat, Bürger und Lokalpolitiker in die Irre? Diese drastische Frage stellt sich unwillkürlich beim Bau einer Lärm­schutzwand entlang der von Anfang wegen Lage, Größe und Verkehrsfragen umstrittenen Wohnan­lage mit 140 Einheiten in vier L-förmigen Gebäuden mit drei und vier Stockwerken zusätzlich zurückversetzten Terrassenetagen an der Ecke Barlowstraße / Brodersenstraße.

Zugesichert wurde entlang des direkt an den S-Bahnhof Englschalking angrenzenden Quartiers nämlich eine (allseits vehement geforderte) Lärmschutzwand aus transparentem Material. Das wurde im Entwurf des Bebauungsplans festgeschrieben. Doch die endgültige Fassung der Vorgaben wurde verändert.

Derzeit wird ein etwa 200 Meter langer und mehr als zwölf Meter hoher Betonwall mit einigen schmalen Aussparungen – von CSU-Fraktionssprecher Xaver Finkenzeller als „Schieß­scharten“ bezeichnet – hochgezogen. In die Spalte werden wohl Glasscheiben oder durchsichtige Kunststoffelemente eingesetzt. Die Mitglieder des Bezirksausschusses waren außer sich, forderten einhellig auf gemeinsamen Antrag der CSU- und der Grünen-Fraktion den sofortigen Abriss: „Die Mauer muss weg!“

Wohnbau an der Ecke Barlow-/Brodersenstraße: Künftige Bewohner müssen auf grau-triste Betonwände schauen, haben kaum Licht im Innenhof.    Foto: hgb
Wohnbau an der Ecke Barlow-/Brodersenstraße: Künftige Bewohner müssen auf grau-triste Betonwände schauen, haben kaum Licht im Innenhof. Foto: hgb

Bezirksausschuss-Vorsitzende Angelika Pilz-Strasser erklärte empört: „Wir und auch die Bürger sind zur endgültigen Fassung des Bebauungsplans nicht gehört, sind nicht informiert worden. Mich verdrießt diese Monstrosität von Mauer jeden Tag, wenn ich zur S-Bahn gehe.

Wenn eine derartige Änderung so einfach möglich ist, brauchen wir uns mit solchen Themen nicht mehr zu befassen, dann wird die Politikverdrossenheit zunehmen. Wie kann ein privater Investor eigentlich so etwas bauen?“

Die Antwort auf diese Frage gab Frank Otto von der SPD: „Der Bebauungsplan in der endgültigen Fassung sieht keine transparente Wand vor. Der Bauherr konnte daher etwas anderes machen, er kann nicht zum Abriss gezwungen werden.“

Das Statement von Robert Brannekämper, stellvertretender Vorsitzender des Bezirksausschusses und CSU-Landtagsabgeordneter, ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig: „Dieses Monster erinnert mich an die Mauer zur ehemaligen DDR, es fehlen nur noch die Wachtürme.“ Bei seinem Vergleich mit der Chinesischen Mauer kommentierte er: „Die ist wenigstens geschwungen.“ Brannekämper donnerte zornig, fast wutentbrannt: „Das ist ein Multiorganversagen der Stadtplaner. So kann man nicht arbeiten. Jede Bürgerbeteiligung ist dann ja Zeitverschwendung. Note sechs. Hier hat man eine große Chance vertan!“

CSU-Vertreterin Petra Cockrell äußerte sich „erschüttert über den Mangel an Qualität in der Stadt­planung. Toll gemacht, Stadt – die Planung hat ja mehr als 20 Jahre gedauert. Wer wird dort mit Blick auf die Wand mal wohnen? Wohl Berechtigte für Sozialwohnungen.“

Die Betonwand vom Bahnsteig am S-Bahnhof Englschalking aus gesehen.     Foto: hgb
Die Betonwand vom Bahnsteig am S-Bahnhof Englschalking aus gesehen. Foto: hgb

Auch Finkenzeller war total verärgert: „So kann man mit dem Bürgerwillen nicht umgehen. Die Bürger werden stetig belogen.“

Hinsichtlich der SEM, der Städtebaulichen Entwicklung jenseits der S-Bahnlinie auf einem rund 600 Hektar großen Gelände, fragte er: „Was verspricht man uns da alles, was wird verwirklicht, was wird gebrochen?“

Die Befürchtung ist durchaus begründet. Der Jurist erinnerte an die Entstehung des OBI-Baumarkts an der Riemer Straße in Daglfing, den die Stadt gegen den Protest der Anwohner durchgesetzt hat. Im Bebauungsplan stand, dass die orangefarbenen Fassaden mit Kletterpflanzen begrünt werden müssen. Aus Kletterpflanzen sind nun entlang des Gehwegs zwischen riesigen Werbetafeln sage und schreibe sechs Bäume geworden – das Planungsreferat hatte vor kurzem eine Befreiung erteilt.

Die Lokalpolitiker fordern von der Stadt „umgehend“ Aufklärung in fünf Punkten: 1. Wieso hat sich die Stadt an die Zusage Lärmschutzwand in „durchlässiger Form“ nicht gehalten? 2. In welchem Verfahren wurde die Änderung der Lärmschutzwand vorgenommen? 3. Wie will die Stadt ihre Glaubwürdigkeit im Rahmen der zukünftigen SEM unter Beweis stellen? 4. Die Stadt investiert viel Geld, damit öde, Block abriegelnde Lärmschutzwände grundsätzlich vermieden werden – wie ist es zu erklären, dass dies bei dem privaten Investor streitgegenständlich nicht maßgebend war? 5. Die Stadt wird aufgefordert, im Rahmen eines Ortstermins den Bürgern Rede und Antwort zu stehen.

– Titelbild: hgb –