2. Juni 2017
Bei Biergartenwetter über die SEM diskutieren, die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme auf dem 600 Hektar großen Areal jenseits der S-Bahnlinie zum Flughafen, wo ein neuer Stadtteil entstehen wird – geht nicht? Und ob! Live zu erleben bei einer Veranstaltung des CSU-Kreisverbands Bogenhausen/Berg am Laim.
Robert Brannekämper, Vize-Vorsitzender des Bezirksausschusses und CSU-Landtagsabgeordneter, wie auch CSU-Fraktionssprecher Xaver Finkenzeller war erstaunt und erfreut zugleich. Denn nahezu 100 Bürger waren dabei. Und die Verbindung Biergarten und Politik? Ganz einfach gelöst: Im Saal der Gaststätte Lohengrins wurden kurzerhand die Seitenflügel geöffnet, an den Gartentischen Platz genommen.
Angesichts der vom Planungsreferat präsentierten drei Varianten eines einzigen Büros (!) mit den Phantasienamen Perlenkette, Neue Quartiere am Hüllgraben und Küstenlinie – Kosten laut Finkenzeller rund 2,5 Millionen Euro (!) – erklärte dieser: „Wir versuchen, einen anderen Weg zu finden. Denn die drei Entwürfe unterscheiden sich inhaltlich kaum, bieten aber alle die Möglichkeit der Nachverdichtung. Deshalb muss ein Ideenwettbewerb her.“ Schon vor geraumer Zeit war daher im Kommunalparlament ein Antrag gebilligt worden, dass die Stadt weitere Möglichkeiten aufzeigt.
„Das Thema Wachstum interessiert. Doch wie soll es in München weiter gehen?“ Brannekämper gab die Antwort auf seine Frage selbst: „Wachsen ja, aber mit Maß, Ziel und Hirn. Am besten da, wo die Infrastruktur zumindest in Teilen schon vorhanden ist. Aber nicht wachsen auf Teufel komm’ raus.“
Der Landtagsabgeordnete bezog damit Stellung zu einem Interview von Sophie Wolfrum, Professorin am Lehrstuhl für Städtebau an der TU München.
Sie hatte die Stadt beim Wohnungsbau der „unverantwortlichen Zaghaftigkeit“ bezichtigt, ihr schwebt ein großer Wurf in der Dimension von Neuperlach vor – 80 000 Einwohner, 60 000 Arbeitsplätze, Zentren, U-Bahnanschlüsse, Parkanlagen.
„Das ist an Absurdität nicht zu überbieten“, erregte sich Brannekämper. „Bisher geht man von Wohnungen für 30 000 Menschen und 12 000 Arbeitsplätzen aus. Und das ist schon viel zu viel. Von den 600 Hektar werden etwa 200 Hektar Grünbereich, 400 Hektar bebaut. Mehr als 40 000 Personen, das sind so viel wie die Stadt Ansbach zählt, aber auf einem Zehntel der Fläche. Bedenken Sie: Schon heute bricht der Verkehr in und um Bogenhausen an manchen Tagen zusammen.“
Finkenzeller zu den Zahlen 30 000 Bewohner und 12 000 Arbeitsplätze: „Das wollen wir nicht. Unsere Forderungen sind 15 000 Bewohner und 2000 Arbeitsplätze, eine Bebauung mit Gartenstadtcharakter statt öder Plattenbausiedlungen, die alten Dorfstrukturen um Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen müssen bewahrt werden.“
Und grundsätzlich: „Start erst nach Verlegung der S-Bahn in einen viergleisigen Tunnel, zuerst die Infrastruktur schaffen und dann bauen. Man darf nicht den selben Fehler machen wie in Freiham.“ Zum U-Bahnanschluss erklärt er: „U4 bis nach Englschalking, ja. Aber dann wird’s kritisch. Denn wer eine U-Bahn will, der bekommt mehr Einwohner. Eine U-Bahnhaltestelle ist ab 15 000 Einwohner wirtschaftlich. Drei Haltestellen bedeuten also 45 000 Einwohner.“
Die Idee, „provisorische Brücken“ über die Bahngleise zu bauen, da der unterirdische S-Bahnausbau nach jüngsten Expertenaussagen wohl nicht vor dem Jahr 2037 fertig sein dürfte, kanzelte Finkenzeller ab: „Ein Hirngespinst.“ Zudem basierten die Gutachten für den Straßenverkehr auf „uralten Zahlen.“
Zu den Jahreszahlen meinte Brannekämper: „Ob der Start 2020, 2030 oder später ist, dass ist völlig egal. Denn wir haben eine Verantwortung für die Menschen. Damit die Stadt nicht ihr Gesicht, ihren Charme verliert, bin ich bereit, mit dem Oberbürgermeister auf Konfrontationskurs zu gehen.
Wenn nötig, muss es ein Bürgervotum geben, wie stark München wachsen soll. Wir können nicht mehr munter wie bisher drauf los bauen. Schauen Sie sich mal London an. Die Stadt hat heute 40 Hochhäuser. 2030 sollen es mehr als 200 sein.
Das wollen wir in München nicht. Oder Stuttgart: Der Stadtrat hat fast ein Nullwachstum beschlossen, es werden einfach keine großen Baugebiete mehr ausgewiesen.“
Die beiden Lokalpolitiker zu Anliegen der Besucher in Stichworten zu/zum:
- S-Bahnausbau – „Wir brauchen den S-Bahn-Nord- und Südring. Nicht nur die zweite Stammstrecke, anders wird es nicht gehen.“
- Hochhäusern – „Es geht nicht, alles rundherum zuzuzementieren. Es gilt das Gebot der nachbarschaftlichen Rücksichtnahme. Ein klares Nein zu sechsstöckigen Blöcken gegenüber Ein- und Zweifamilienhäusern. Tower verschatten, das ist keine Rücksicht. Siehe die Pläne an der Ecke Eggenfeldener Straße. Wir brauchen Qualität. Die Borstei ist beispielhaft.“
- Umgang der Stadt mit Grundstückseigentümern – „So geht’s nicht. Die Stadt steht mit dem Schwert hinter den Leuten und sagt: Gib’ mit oder ich stech’ zu.“
- Platz durch Eingemeindungen – „Das ging in der Vergangenheit, wenn die Ortschaften pleite waren, wie einst Oberföhring. Heute läuft das nicht mehr. Die Begeisterung der Landkreis-Bürgermeister in Sachen Wohnbau ist begrenzt.“
- Wachstumsflächen – „Wir müssen Wachstum dort schaffen, wo wir schrumpfende Bevölkerungszahlen haben. Und schnelle Zugverbindungen in die Region verlängern, so wie nach Miesbach. München muss runtergezoomt werden, sonst explodiert der Kessel.“
- Verkehrsproblematik – „Für Straße, Bundesbahn, S-Bahn, U-Bahn, Bus, Tram fehlt ein Gesamtkonzept. Das brauchen wir dringend.“
- City-Maut für Fahrzeuge aus den Landkreisen – „Das ist nicht machbar. Wir brauchen Ringlinien um nicht ins Zentrum fahren zu müssen und dann wieder rauszufahren, wenn man beispielsweise von Oberföhring nach Freimann will.“
- Bürgerbegehren zum Nordosten – „Die Hürden für so etwas sind relativ hoch. Und ein Ergebnis kann nach hinten ausschlagen, denn die Frage ist, wie viel Münchner gehen zur Wahl, und das Problem ist, dass in Sendling sich niemand für Johanneskirchen interessiert.“
- (Miet-)Wohnungen – „Wir bauen oft für die falsche Klientel. Wir brauchen bezahlbare (Miet-)Wohnungen für Münchner, nicht für Medizintouristen, nicht für Menschen, die ein paar Mal im Jahr hier ihre Zweitwohnung nutzen. In den Neubauten auf dem ehemaligen HDI-Grundstück an der Englschalkinger Straße haben arabische Investoren 46 von 129 Wohnungen erworben.“