22. Oktober 2017

20 Jahre, geschätzt, mindestens, bis die S-Bahn zum Flughafen in einen Tunnel verlegt ist, müssen die meisten der 145 Familien im künftigen Neubau(!)quartier an Ecke Barlowstraße / Bordersenstraße sich vorkommen, als lebten sie in einem Gefängnis. Als wohnten sie in einer Senke an der Chinesischen Mauer.

Die vier L-förmigen Gebäude mit drei und vier Stockwerken zusätzlich zurückversetzten Terrassen­etagen sind nämlich auf einer Länge von knapp 200 Meter abgeschirmt vom donnernden Lärm der Güterzüge und der S-Bahnen – mit einem zwölf Metern hohen, etwa 40 Zentimeter Betonwall samt einigen schmalen Aussparungen. Letztere werden wohl mit transparenten Platten ausgekleidet, doch der Eindruck Schießscharte bleibt. Erst wenn die Bahnstrecke unter der Erde verlegt ist, könnte, wohlgemerkt könnte, die Mauer einmal zerlegt werden.

Zugesichert wurde einst entlang des direkt an den S-Bahnhof Englschalking angrenzenden Viertels eine (allseits vehement geforderte) Lärmschutzwand aus transparentem Material. Das wurde im Entwurf des Bebauungsplans festgeschrieben. Doch die endgültige Fassung der Vorgaben wurde verändert.

Die Mauer, die keiner haben will, ist inzwischen komplett hochgezogen, steht in voller Breite.

Schicke Wohnungen, viel Grün – so wird das künftige Wohnquartier Barlowstraße auf der Bautafel dargestellt. Von einem Betonwall zur S-Bahn ist nichts zu sehen.    Foto: hgb
Schicke Wohnungen, viel Grün – so wird das künftige Wohnquartier Barlowstraße auf der Bautafel dargestellt. Von einem Betonwall zur S-Bahn ist nichts zu sehen. Foto: hgb

Und wer ist dafür verantwortlich? Verantwortlich für „die solide deutsche Baukunst“, wie es ein Lokalpolitiker sarkastisch formulierte. Total verworren, weil fraglich, ob nachträglich alles rechtlich passt, weil fraglich, ob die Vorschriften eingehalten wurden. Wie meist in solchen Fällen, will sich natürlich keiner bekennen.

Das Planungsreferat blockt ab. Der Bauherr hat einen Passus in den geänderten Vorschriften entdeckt, sich daran orientiert und genutzt. Mit einer – für die Betroffenen verheerenden – Auswirkung:

Der Werkstoff Beton ist allemal kostengünstiger anzuschaffen und zu verarbeiten als eine transparente Wand, ob nun aus dickem Glas oder aus gehärteten Kunststoff­platten.

Kurzum ein irrer Slalom durch Vorschriften, Paragraphen und Finanzen.

In einem vierseitigen Schreiben an den Bezirksausschuss bezieht das Planungsreferat nun Stellung, beantwortet die vom Stadtteilgremium Mitte Juni gestellten fünf Fragen:

  1. Wieso hat sich die Stadt an die Zusage Lärmschutzwand in „durchlässiger Form“ nicht gehalten? 2. In welchem Verfahren wurde die Änderung der Lärmschutzwand vorgenommen?
  2. Wie will die Stadt ihre Glaubwürdigkeit im Rahmen der künftigen SEM unter Beweis stellen, wenn sie schon bei einem so >kleinen< Bebauungsplan sich nicht an die Zusagen an die Bürger hält?
  3. Die Stadt investiert viel Geld, damit öde, Block abriegelnde Lärmschutzwände grundsätzlich vermieden werden – wie ist es zu erklären, dass dies bei dem privaten Investor streitgegenständlich nicht maßgebend war?
  4. Die Stadt wird aufgefordert, bei einem Ortstermin den Bürgern Rede und Antwort zu stehen.

Blick auf die rund 200 Meter lange Lärmschutzwand entlang des S-Bahnhofs Englschalking für das künftige Viertel an der Barlowstraße .    Foto: hgb
Blick auf die Lärmschutzwand entlang des S-Bahnhofs Englschalking für das künftige Viertel an der Barlowstraße . Foto: hgb

Antwort zu 1.: Das Konzept der Architekten hatte eine transparente Lärmschutzwand vorgesehen. Langfristige Idee war, bei Tieferlegung der Gleise die Wand zu entfernen und die Bebauung zu einer künftigen Grünzone zu orientieren.

Im Planungsverfahren war bis zur Billigung am 2. Juli 2014 festgesetzt, die Wand >transparent zu errichten< . Der städtebauliche Vertrag konnte aus verschie­denen Gründen erst am 21. Mai 2015 beurkundet werden, wodurch die Voraussetzungen zur Auslegung des Bebauungsplansentwurfs erst am 9. Juni 2015 vorlagen.

Zu dieser Zeit wurde parallel eine Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes beschlossen, die einen Wegfall des so genannten Schienenbonus beinhaltet. Züge müssen demnach die gleichen Lärmgrenzwerte einhalten wie Autos.

Die Folge der Änderung: Die Wand musste „hoch absorbierend“ errichtet werden, um Schallreflex­ionen auf gegenüberliegende Gebiete zu vermeiden. „Es konnte zwar rechnerisch nachgewiesen werden, dass mit schräg gestellten transparenten Lärmschutzwänden die Einhaltung der Grenz­werte erreicht werden können, aber faktisch lagen keine Erfahrungswerte vor“, führt die Behörde aus.

>Biene<, die Bürgerinitiative Englschalkings neue Entwicklung, forderte zwingend hoch absorbie­rende Wände, ein Gutachter für Lärmschutz wollte nicht zusagen, dass die transparenten Scheiben ausreichen würden. Das Planungsreferat: „Wegen Rechtssicherheit musste die Festsetzung zur Lärmschutzwand modifiziert werden (Satzungsbeschluss vom 11. November 2015). Damit war eine transparente Ausführung der Lärmschutzwand optional möglich.“ Wohlgemerkt mög­lich, nicht vorgeschrieben. Aus dem >Muss< wurde also ein >Möglich<.

Die Behörde rechtfertigt sich: „Seitens des Investors wurde dem Referat während des gesamten Bebauungsplanverfahrens zugesagt, die Lärmschutzwand in transparenter Form umzusetzen.“ Die Folge:

Antwort zu 2.: „Die Planungsänderung der vorgesehenen transparenten Lärmschutzwand in eine überwiegend massive Schallschutzwand wurde im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens mit der dritten Tektur des Bauantrags seitens des Investors vorgenommen.“ Bezüglich Englschalking lesen Sie bitte weiter unter Antwort zu 4.

Zwölf Meter hoch, rund 200 Meter lang, etwa 40 Zentimeter dick – die Lärmschutzwand zur S-Bahn am Quartier Barlowstraße, wirkt brutal. Die Bogenhauser Lokalpolitiker fordern nach wie vor den Abriss, wollen den zugesagten transparenten Schallschutz.    Foto: hgb
Zwölf Meter hoch, rund 200 Meter lang, etwa 40 Zentimeter dick – die Lärmschutzwand zur S-Bahn am Quartier Barlowstraße, wirkt brutal. Die Bogenhauser Lokalpolitiker fordern nach wie vor den Abriss, wollen den zugesagten transparenten Schallschutz. Foto: hgb

Antwort zu 3.: „Ein Bebauungsplanverfahren bedeutet während der gesamten Verfahrenszeit einen Abwägungsprozess, der die unterschiedlichen Belange und Interessen gegeneinander abwägt und in dem die Einhaltung der jeweils geltenden rechtlichen Vorgaben sicher zu stellen sind. Bei der Entwicklung im Nordosten besteht mit der Öffentlichkeit ein breiter Dialog.“

Antwort zu 4.: „Die über das gesamte Bebauungsplanverfahren verfolgten Bebauungsabsichten des Investors ließen nicht erahnen, dass die Umwandlung der geplanten transparenten in eine überwiegend massive Lärmschutzwand im Rahmen des Genehmigungsverfahrens beabsichtigt war.“ Eine Genehmigung habe dann „nicht verwehrt“ werden können.

Antwort zu 5.: „Die geänderte Festsetzung bzgl. der Lärmschutzwand“ war bereits Gegenstand der öffentlichen Auslegung. Mittels eines Hinweisesblattes wurde auf die Änderung hingewiesen. Damit hatte jeder Bürger Gelegenheit, zu der geänderten Festsetzung Stellung zu beziehen.“ Der eigentlichen Frage wird also ausgewichen.