14. Juni 2018

100 Minuten verbaler Schlagabtausch, gespickt mit Kritik, Emotionen, Empörungen und Beschuldigungen – kurzum lokalpolitische Spannung(en), wie es selten zuvor im Bogenhauser Bezirksausschuss zu erleben war. Unter dem Beifallsdonner der rund 70 Besucher beschlossen die Lokalpolitiker, dass die Städtebauliche Maßnahme (SEM) im Nordosten beerdigt wird. Vorbild war die von der Stadtspitze gekippte SEM Nord rund um Feldmoching.

Feld, Wald, Wiesen – kaum vorstellbar, dass die Flächen rund um Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen einmal zubetoniert und asphaltiert sind. Abbild.: CSU / Foto: hgb

Per Antrag der CSU-Faktion unter der Überschrift „Es kann nicht zweierlei Recht in München geben!“ wird die „Stadt aufgefordert, die SEM Nordost – analog mit dem SEM Nord – aufzugeben.“ Die Abstimmung fiel mit der knappest möglichen Mehrheit, nämlich einer Stimme, mit 17 zu 16 positiv aus. SPD und Grüne – letztere sechs Vertreter wollten eine Vertagung bewirken – votierten dagegen, die Reihen der CSU (15 Mitglieder, Kilian Mentner war entschuldigt) und FDP (zwei Ver­treter) waren fest geschlossen. Dazu kam die letztlich entscheidende Stimme von Nicola Holtmann (ÖDP).

„Ich schließe mich nach interner Klärung dem CSU-Antrag an. Wohnraum für 30 000 Menschen im Nordosten ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, um die Wohnungsnot und das Wachstum Mün­chens in den Griff zu bekommen. Wir brauchen endlich ein Konzept für die ganze Stadt. Wir müs­sen den Mut haben zu sagen, jetzt ist erst mal genug mit den Arbeitsplätzen (Anm. d. Red: geplant sind im Nordosten überdies 10 000 Arbeitsplätze). Man muss erst mal untersuchen, um wie viel Personen und wo wir wachsen wollen und dann überlegen, wo die Leute wohnen sollen. Also einen Schritt zurück machen, erst ein Gesamtkonzept erstellen,“ begründete Holtmann  ihre Haltung.

Plakat Stoppt SEM
Feld, Wald, Wiesen – kaum vorstellbar, dass die Flächen rund um Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen einmal zubetoniert und asphaltiert sein sollen. Abbild.: Initiative Heimatboden / Foto: hgb

Neben der genannten Forderung beinhaltet die CSU-Initiative zwei weitere Punkte: Einmal Koope­ration statt Konfrontation. München wird aufgefordert unverzüglich mit den betroffenen Eigentümern sowie dem Bezirksausschuss und Interessierten in einen offenen Dialog einzutreten, wo und in welchen Umfang eine qualitative Siedlungsentwicklung im Nordosten möglich ist.

Und zweitens: „Für die künftige Bebauung und die anzustrebenden Gespräche sind folgende Para­meter unter anderem unabdingbar: Qualitativer Wohnraum ist zu schaffen, Erhalt der ökologischen Vielfalt, Tieferlegung der S-Bahn ist Grundvoraussetzung, Schulen und Kinderbetreuungseinrich­tungen sowie die Grundversorgung des täglichen Bedarfs deckende Einrichtungen sind vor der Wohnraumschaffung zu errichten und Verknüpfung der U4 und der S8.“

CSU-Fraktionssprecher Xaver Finkenzeller begründete den Antrag: „Das Ergebnis für die SEM Nord muss auch für die SEM Nordost gelten. Was in Feldmoching als Irrweg angesehen wird, kann nicht als Königsweg in Daglfing angehen. Die SEM und die damit aufgebaute Drohkulisse (Am. d. Red.: Enteignungen) ist daher unverzüglich einzustellen. An der SEM-Aufgabe führt kein Weg vorbei. Der Hinweis der Verwaltung >wir brauchen mehr Zeit< ist eine faule Ausrede. Es ist heute an der Zeit, ein klares Signal zu setzen.“

Bezirksausschuss-Vorsitzende Angelika Pilz-Strasser (Grüne) attestierte: „Vieles bei dem SEM ist nicht zufriedenstellend und nicht geklärt, sie ist maximal schlecht gemacht. Wir wollen aber die bestmögliche Lösung. Wie mit den Bürgern umgegangen worden ist, das war ein maximal schlech­ter Vorgang der Verwaltung.“ Dann kam ihr >Aber<: „Es besteht kein Zeitdruck. Ich will wissen, wie weiter vorgegangen wird. Erst muss die Infrastruktur stehen, erst danach kann der Spatenstich für Wohngebäude erfolgen. Eine Sondersitzung des Bezirksausschusses wäre angebracht.“

Karin Vetterle, Sprecherin der SPD, meinte: „Der Stadtratsbeschluss für die SEM ist gefasst. Es ist nicht ganz so einfach, eine SEM zurückzuziehen. Die SEM in die Tonne zu treten, nein. Da steckt sechs Jahre Arbeit drin.“

Robert Brannekämper, Vize-Vorsitzender des Kommunalparlaments und CSU-Landtagsabgeordne­ter, erinnerte Vetterle an Stadtbaurat Zech (Anm. d. Red.: SPD, im Amt von 1970 bis 1992), der einst im Nordosten mit 4000 Wohnungen für etwa 10 000 Menschen geplant hatte.

Karte SEM
Englschalking, Daglfing, Johanneskirchen – so war’s im März 2017 auf den Karten der drei Planungsvarianten für das Baugebiet im Nordosten angegeben. Die richtige Reihefolge der Ortsnamen: Daglfing, Englschalking, Johanneskirchen. Karte: Planungsreferat

Bogenhauens Mann im Maximilianeum nannte das Beispiel Riem – 560 Hektar groß, jeweils 200  Hektar im Besitz von der Stadt und vom Freistaat, jeweils 200 Hektar Messe und Bundesgarten­schau – wo die Baumaßnahmen 27 Jahre gedauert haben. „Und bei einer SEM soll’s in zehn Jahren gehen? Das ist das falsche Verfahren. Die Stadt hat jahrelang mit den Eigentümern im Nordosten nicht geredet. Sie besitzt zehn landwirtschaftliche Betriebe mit 2500 Hektar Grund, die Stadt hat nie ein Angebot gemacht, nie einen Flächentausch erwogen. Was die Verwaltung bisher gemacht hat, ist Murks, man muss die SEM in die Tonne stopfen. Wir müssen heute entscheiden, es geht um eine Botschaft ans Rathaus, ein Signal an den Stadtrat, der morgen über das Ende der SEM Nord abstimmt.“

Zum Stichwort städtischer Murks rief Peter Reinhardt (CSU) die Karten des Planungsreferats vom März 2017 zu den drei Planungsvarianten „Perlenkette“ ,„Neue Quartiere am Hüllgraben“ und „Küs­tenlinie“ ins Gedächtnis. Auf ihnen war die Reihenfolge der Ortsnamen von Daglfing und Englschal­king vertauscht worden …

Manfred Krönauer (FDP) stellte klar: „Wir werden den Zuzug nach München nicht stoppen, weder mit noch ohne SEM. Ich bin grundsätzlich gegen Eingriffe in persönliche Rechte. Ich will In Bogen­hausen keine städtebaulichen Entwicklungen wie in Riem und in Neuperlach. In Freiham hat man die Bürger beteiligt – es klappt, auch ohne SEM!“

„95 bis 98 Prozent des Antrags sind grüne Punkte, der könnte von uns sein“, scherzte Holger Machatschek von den Grünen. „Wir werden dem Antrag zustimmen, aber nicht heute. Warum sollen wir dem Stadtrat vorgreifen?

Wolfgang Helbig (SPD) plädierte für Vertagung, „wir müssen die Planungsmaßnahme mit Ruhe angehen.“ Der Geschäftsordnungsantrag fiel durch – mit 17 gegen 14 Stimmen. Pilz-Strasser hatte zuvor den Saal verlassen!