11. Juni 2018

„Was man im Norden als Unrecht erklärt, das kann im Nordosten nicht Recht sein!“ Die Aussage von Xaver Finkenzeller, CSU-Fraktionssprecher im Bezirksausschuss, war unmissverständlich. Denn die umstrittene und bekämpfte Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) – die Bodenpreise waren damit eingefroren – auf einem 900 Hektar großen Areal im Norden Mün­chens bei Feldmoching – ist vom Tisch. Die Bodenpreise sind somit aufgetaut. Damit wird es, so Bürgermeister Josef Schmid (CSU), „definitiv keine Enteignungen geben“. Aber was passiert mit der SEM Nordost, auf der rund 600 Hektar großen Fläche zwischen Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen, von der mehr als 200 Grundstücksbesitzer betroffen sind?

„Lebensräume statt Plattenbauten“ – so war eine Podiumsdiskussion überschrieben, organisiert vom CSU-Kreisverband Bogenhausen / Berg am Laim, zu der trotz besten Biergartenwetters weit mehr als 100 Interessierte gekommen waren. Viele von ihnen werden auch bei der Tagung des Bogenhauser Kommunalparlaments am Dienstag, 12. Juni, 19.30 Uhr, Gehörlosenzentrum an der Lohengrinstraße, erwartet. Dabei stimmen die Lokalpolitiker nämlich über einen Dringlichkeitsantrag der CSU ab, in dem von der Stadt gefordert wird, auch die SEM Nordost zu beerdigen.

Die Diskutanten im Gespräch: Robert Brannekämper (vCSU-Landtagsabgeordneter, Vize-Vorsitzender des Bezirksausschusses; v.l.), Xaver Finkenzeller (CSU-Fraktionssprecher im Bezirksausschuss; v.r.), Johannes Oberfranz (Initiative Heimatboden; h.l.) und Benno Ziegler (Fachanwalt für Baurecht; h.r.). Foto: TH

Wie wollen wir und künftige Generationen in München Leben? Wird es ein Alptraum aus Platten­bauten, zu dem die Stadt mit der SEM Nordost den Grundstein legen will? Oder erhalten wir uns den Platz zum Leben mit einer deutlich reduzierten Bebauung, als es die Stadt möchte?

Unter die­sen Vorgaben diskutierten der Landtagsabgeordnete Robert Brannekämper, Xaver Finkenzeller, Landwirt Johannes Oberfranz und Rechtsanwalt Benno Ziegler.

Zum besseren Verständnis: Anfang vergangener Woche hatte es im Rathaus einen Pauken­schlag gegeben. OB Dieter Reiter (SPD) und Schmid hatten sich in seltener Eintracht – offen­sichtlich aus juristischen Erwägungen – verständigt, die SEM Nord zu canceln.

Äcker und Wiesen haben damit wieder ihren aktuellen Marktwert, sie können von den knapp 500 Besitzern auch wieder beliehen werden.

Das Druckmittel Enteignung ist also weg, die Stadt ist auf das Wohlwollen und die Kooperation mit den Besitzern bei weiteren Planungen angewiesen. Kurzum: eine politische Schadensbegrenzung angesichts der massiven Bürgerproteste. Das neue Planungsinstrument – es muss noch ausgear­beitet und vom Stadtrat beschieden werden – heißt Kosmo, Kooperatives Stadtentwicklungsmodell. Damit soll versucht werden, Stadtviertel aus einem Guss, also mit sämtlichen Infrastruktureinrich­tungen, zu schaffen. Denn in beiden SEMs sind die Eigentümer grundsätzlich für Verkäufe und Bebauungen offen. Ob es zu Preisexplosionen, zu einem Verkaufsrecht der Stadt, zum Tausch von Flächen kommt – all das wird sich erst zeigen.

Statements Finkenzeller: „Die CSU im Bezirksausschuss hat die SEM von vornherein abgelehnt. Klar, es wird im Nordosten zu einer Nachverdichtung kommen, dem stimmen wir zu, sie muss aber maßvoll sein. Zuerst muss die Infrastruktur stehen, dann kann man die Wohnbebauung planen. Wir wollen keinen zweiten Fall Prinz-Eugen-Park, wo plötzlich mehr als 200 Kita-Plätze fehlen.“

Und: „Das Verkehrskonzept zur SEM ist eine Katastrophe – die Angaben zur SEM und zum Bauge­biet an der Eggenfeldener Straße widersprechen sich. Egal, wie viel Wohnungen im Nordosten gebaut werden, das Wohnproblem in München wird damit nicht gelöst.“ Dazu eine Bürgerin: „Der Leerstand an Wohnungen in München nimmt zu. Dagegen muss man vorgehen.“

„Betonwüste verhindern! Heimatboden unterstützen“ – Plakat zur Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Nordosten Abbild.: Initiative Heimatboden / Foto: hgb

Statements Oberfranz: „Eine SEM ist das schärfste Schwert für eine Baumaßnahme. Wir nennen es Damoklesschwert. Ich betone, Heimatboden ist kein Baugegner.

Klar, eine Großstadt wie Mün­chen wächst und wächst. Im Nordosten würde eine Kleinstadt so groß wie Erding entstehen (Anm. d. Red.: geplant sind 30 000 Einwohner plus 10 000 Arbeitsplätze; Erding hat rund 36 000 Einwoh­ner). Wird das durchgezogen, dann brechen wir zusammen.“

Zum Stichwort Arbeitsplätze: Es gelte, auch mit den Gemeinden im Landkreis München zusammen­zuarbeiten. „Wir haben ausgerechnet, dass es in den umliegenden Industriegebieten, bis hin zu Dornach, etwa 150 000 Quadratmeter Leerstand gibt. Es geht halt immer noch nach dem Prinzip >wer kassiert die Gewerbesteuer<.“

Statements Brannekämper: „Wie wird künftig leben und leben wollen, das geht uns alle an. Die Stadt ist heute schon überlastet. Es fehlen Schulen und Kindergärten, Straßen sind oft verstopft, S- und U-Bahnen oft total überfüllt. Man muss sich vorstellen: 400 000 Menschen pendeln täglich nach München, die kleinste Störung führt zu Stillstand, man hat sich daran fast gewöhnt. Das geht auf Dauer nicht so weiter. Deshalb muss man, wie Ministerpräsident Markus Söder gesagt hat, im länd­lichen Raum Vollgas geben, denn die City ist überhitzt. Es wurde versprochen, dass im Nordosten erst die Infrastruktur stehen muss und dann geplant wird.“

Der Landtagsabgeordnete und gelernte Architekt Robert Brannekämper (CSU) stellt vor über 100 interessierten Zuschauern klar: Stadtentwicklung darf nicht auf Kosten von Lebensqualität geschehen! Foto: TH

Und: „Jede Wiese, jeden Bolzplatz in München gnadenlos zuzubauen – das führt nicht zu preiswer­tem Wohnraum. Das Planungsreferat ist mit den Fragen und Problemen fachlich überfordert. Mietskasernen auf die grüne Wiese hinklatschen, so geht’s nicht. Die Lebensqualität verschlechtert sich. Wir brauchen Strukturen mit Qualität, wie beispielsweise in der Borstei.

Es gilt, ein klares Signal an den Marienplatz zu senden, überlassen Sie es nicht der Politik im Rathaus: Die SEM im Nordosten muss auch weg, der Nordosten ist es wert, erhalten zu werden. Die Menschen hier sind keine Bürger zweiter Wahl.

Vergleich zum Zeitablauf einer SEM, die in maximal 20 Jahren durchgezogen sein muss: „In Riem, 60 Hektar, also ein Zehntel der Nordost-Fläche, gab’s zwei Eigentümer, nämlich die Stadt und den Freistaat. Das Ganze wurde ohne SEM gemacht – das Projekt dauerte 27 Jahre!“

Zu den Pferdesportanlagen in Riem und Daglfing: „Der Pferdesport ist da, muss da bleiben. Viel­leicht nicht in zwei Stadien, eventuell gehören die Flächen gebündelt.“

Statements Ziegler: „Das Argument, mit einer SEM günstigen Wohnraum zu schaffen, das stimmt einfach nicht. Eine SEM wird als Druckmittel angewandt. Sie schützt nicht vor Bodenspekulation: Mit Tricks wurde beispielsweise ein Acker mehrmals weiterverkauft. Ich hoffe, dass der OB nicht nur >A< sagt, sondern auch >B<.“

Trotz Biergartenwetters und Live-Übertragung eines Fußballspiels weit mehr als 100 Interessierte zur Podiumsdiskussion „SEM – Lebensräume statt Plattenbauten“ gekommen. Foto: TH

Seine Aussagen in Richtung Rathaus: „Es ist zu spüren, dass man in der Verwaltung von uns genervt ist. Ich bin tief enttäuscht von der Kommunikation mit den Vertretern des Planungsreferats.“ Dazu ergänzte Oberfranz: „Das Planungsreferat informiert die politischen Vertreter schlecht, und oft nur zur Hälfte.“

Frage eines Bürgers: „Was können wir machen?“ Die Antwort eines weiteren Teilnehmers nach der Versammlung: „Der Initiative Heimatboden beitreten. Zu den Protestversammlungen gehen, in Feldmoching waren mehr als 1400 Personen dabei

Die Tagungen des Bezirksauschusses besuchen. Je mehr wir sind und werden – vielleicht können wir dann mal eine Demonstration organisieren.“