21. Oktober 2018

Was wird aus dem 30 Jahre alten, teils vergammelten und überwiegend leerstehenden Wohn- und Gewerbekomplex Freischützgarten an der Ecke Freischütz-/ Johanneskirchner Straße? Eine Frage, die sicherlich nicht in absehbarer Zukunft beantwortet wird, gleichwohl die Lokalbaukommission (LBK) im Planungsreferat bereits einen Vorbescheid – Aufstockung vierte Etage und Dachge­schoss, Nutzungsänderung von Büro in Wohnen für das erste und zweite Stockwerk – erlassen hat.

Rückblick • Die Munich Residential GmbH (MR) hatte den maroden Block im April 2016 gekauft, wollte sanieren und modernisieren, hatte Mietverträge gekündigt oder nicht mehr verlängert.

Gegenwart • Im Mai hat die „ Germany GmbH mit Sitz in Düsseldorf – Geschäftsführer ist Kai-Uwe Ludwig (49), vormals bis Ende 2014 zehn Jahre lang bei der Bayerischen Hausbau tätig und somit Kenner von Bogenhausen – die Anlage auf rund 10 000 Quadratmeter Fläche in Johanneskirchen von MR erworben. Das Unternehmen will die Bestandsgebäude sanieren und aufstocken, will voraussichtlich 15 Gewerbeeinheiten schaffen und zusätzlich rund 175 Wohnungen bauen, ein Eckgebäude samt Innenhof an der Kreuzung errichten. Im vierten Quartal 2019 soll’s losgehen.

Das Zentrum an der Ecke Freischütz- / Johanneskirchner Straße aus der Vogelperspektive. Foto: 6B47 Germany GmbH

Beschluss • Die Mitglieder des Bezirksausschusses sehen „die städtebauliche Situation kritisch“; sie lehnen die präsentierte Eckbebauung ab, sprachen sich klar gegen eine Befreiung vom beste­henden Bebauungsplan aus. Außerdem erachtet der Bezirksausschuss ein „Bauleitplanverfahren für die angedachten Maßnahmen als unabdingbar“.

Urteil • Robert Brannekämper, stellvertretender Vorsitzender des Bezirksausschusses, Chef des Planungsgremiums und CSU-Landtagsabgeordneter, erklärte im Kommunalparlament: „Mit einer Befreiung funktioniert das hier nicht. Ein viergeschossiger Ausbau ist nicht machbar.

Wir müssen abwarten, ob das Unternehmen ein Bebauungsplanverfahren anstrebt. Aus städtischer Sicht sehe ich dazu keine Chance, weil sehr viele derartige Anträge in München anstehen und zuerst Projekte mit mindestens 400 Einheiten bearbeitet werden.“

Der Plan für die Sanierung samt Eckbebauung des Freischützgartens. Plan: 6B47 Germany GmbH

Befreiungen • Ein Thema, das die Lokalpolitiker seit langem umtreibt.

Dazu Brannekämper: „Wir müssen eine Linie finden, wie wir mit Befreiungen umgehen. Befreiungen sind kein vernünftiges Instrument.“

Dem pflichtete CSU-Fraktionssprecher Xaver Finkenzeller bei, fragte in die Runde: „Gibt es einen Mittelweg?“

Eigentum verpflichtet • Diesen rechts- und sozialphilosophischen Grundsatz – in Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes heißt es >Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen< – haben die einstigen Besitzer des Zentrums Freischützgarten in der Vergan­genheit stark vernachlässigt, wenn nicht gar nicht verfolgt. Das hat weitreichende Konsequenzen, die sich jetzt auswirken.

Visualisierung der Front entlang der Freischützstraße des geplanten Eckgebäudes. Visualisierung: 6B47 Germany GmbH

Folge I • Die Spirale dreht sich, wie schnell auch immer. Mietverträge wurden gekündigt, Mietverträ­ge wurden nicht verlängert.

Die einstigen Gewerbepachten von neun Euro pro Quadratmeter wür­den nach einer Sanierung und Modernisierung mindestens auf das Doppelte steigen, also auf 20 Euro und mehr, also auf „das ortsübliche Niveau, was der Markt eben hergibt“, wie schon im Frühjahr 2017 MR-Geschäftsführer Moritz Opfergeld erklärt hatte.

Alteingesessene Geschäfte des Ortsteilzentrums sind – Stichwort Gewinnstreben– vertrieben worden.

Und natürlich auch Bewohner. Alle drei Jahre können die (neuen) Eigentümer nach den geltenden Gesetzen die Miete um 15 Prozent erhöhen. Wie sagte doch eine Anwohnerin im Bezirksausschuss: „Die Ecke stirbt.“

Folge II • Die Struktur und das Umfeld im Herzen von Johanneskirchen verändert sich. Einmal mehr ein klassischer Fall von Gentrifizierung. Also eine Aufwertung des Ortsteils durch Sanierung / Mo­dernisierung, Bürger wurden und werden wegen höheren Mieten durch wohlhabendere Personen verdrängt.

Folge III • Alles (er-)scheint rechtlich wasserdicht, die örtlichen Vertreter können lediglich – fast hilflos – an die Vernunft, an das Verantwortungsgefühl des Investors appellieren. Die Lokal- und Stadtpolitiker können nicht einschreiten, sie können letztendlich, wenn’s die LBK genehmigt, nichts gegen das Vorhaben machen. Selbst eine vom Bezirksausschuss vormals auf Antrag der CSU-Fraktion geforderte so genannte Veränderungssperre ist nicht möglich.

Ansicht entlang der Johanneskirchner Straße mit dem gegenüberliegenden achtgeschossigen Neubau Visualisierung: 6B47 Germany GmbH

Antwort • Das Planungsreferat hatte vor eineinhalb Jahren zur Anfrage einer betroffenen Frau unter anderem erläutert: „Auf Grund der angespannten Lage am Wohnungsmarkt steht die Landes­hauptstadt der Schaffung von Wohnraum positiv gegenüber. Der Bau jeder einzelnen Wohnung nimmt ein wenig Druck vom Wohnungsmarkt.“

Planung • „Wir werben bei Ihnen für unsere Idee. Die Ecke verträgt eine städtebauliche Aufwer­tung. Es wird doppelt so viele Handelsflächen gegen wie zuvor, es werden 175 neue Wohnungen und eine Quartierszone, ein Magnet, entstehen“, so eine 6B47-Vertreterin.

Argumente • 6B47 monierte über die „städtebauliche unbefriedigende Situation im Kreuzungs­bereich hinaus die fehlende Platzgestaltung mit unübersichtlicher Wegeverbindung, eine hohe Lärmbelastung für die Gebäude und für die vorgelagerten Freiflächen, wodurch eine sinnvolle Nutzung der Freiflächen nicht möglich ist und den Rückzug des Gewerbes auf Grund unattraktiver Räume und eines wenig einladenden Umfelds.“ Man will die „Schließung des Blockrands und die städtebauliche Stärkung der Ecke Freischütz- und Johanneskirchner Straße in Ergänzung zum gegenüberliegenden achtgeschossigen Neubau sowie einen ruhigen Quartiersplatz im Inneren mit hoher Aufenthaltsqualität zur Verbesserung der Struktur und Qualität des öffentlichen Raums (Wasserspiele, Bäume, Sitzgelegenheiten, Café und Restaurant) unter anderem realisieren.“

Wirkt auf der Visualisierung großzügig: Der geplante Innenhof. Doch ist wirklich so viel Platz vorhanden? Visualisierung: 6B47 Germany GmbH