21. Januar 2019

„Die Stadt ist in einem planerischen Blindflug unterwegs, der mit einer Bruchlandung endet. Die He­rangehensweise ist grundsätzlich falsch, sie mündet in einer Sackgasse, führt zu einem Desaster. Es muss zuerst geprüft werden, was verkehrlich überhaupt möglich ist. Das Planungsreferat muss dazu seine Hausaufgaben machen. Deshalb muss die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Nordosten jetzt gestoppt werden.“

Mit scharfen Sätzen kommentierte Robert Brannekämper, stellvertretender Vorsitzender des Be­zirks­ausschusses Bogenhausen und CSU-Landtagsabgeordneter, das Ergebnis einer von ihm bei der Fachagen­tur für Stadt-, Verkehrs- und Umweltplanung „RegioConsult“ (Marburg) in Auftrag gegebenen verkehrlichen Bestandsanalyse. Der Hintergrund: Im Nordosten, jenseits der Flughafen-S-Bahn entlang von Daglfing, Englschalking und Johan­neskirchen, soll auf einem mehr als 600 Hektar großen Areal ­– etwa 150 Hektar befinden sich in städti­schem Besitz –­ vor allem Wohnungen gebaut werden.

Mit anderen Worten in Anlehnung an die Startposition beim Brettspiel Monopoly: „Zurück auf Los!“ Diesbezüglich soll Brannekämper zu Folge im Stadtrat in den kommenden Wochen ein Antrag von der CSU einge­bracht werden. Dazu muss man wissen: Am 16. Februar hatte der Stadtrat den so genannten Eckdaten­beschluss – darin werden die wesentlichen Punkte für das Megaprojekt sowie das Vorgehen fixiert – auf Anregung der CSU-Fraktion auf eine Rathaussitzung im März vertagt. Brannekämper fordert „eine seriöse Untersuchung“. Und: „Ich halte eine komplette Analyse mit allen Baugebieten in Bogenhausen und Berg am Laim“ für unbedingt notwendig.

Die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) und weitere große Bauvorhaben im Münchner Nordosten ab 500 Einwohnern (rot) und ab 500 Arbeitsplätzen (gelb). Grafik: Robert Brannekämper, MdL / Kartenmaterial: OpenStreetMap

Seinen Aussagen aus Gesprächen mit Bürgern zu Folge löst die SEM – mit ihr werden die Boden­preise eingefroren, als letztes Mittel sind Enteignungen möglich – „berechtigte Ängste bei den Men­schen, vor allem bei den Landwirten, dort aus, sie ist ein großer Aufreger. Alle fragen sich, was da auf sie zukommt. Denn der Verkehr ist ja schon heute an seiner Leistungsfähigkeit angekommen. Das ist ein Bauchgefühl, das RegioConsult nun untersucht und wissenschaftliche Fakten geliefert hat.“

Das alles aber ohne Einbezug der Verkehrsfolgen von anstehenden diversen Baumaßnahmen wie beispielsweise die „Macherei“ und das Quartier Truderinger Straße in Berg am Laim sowie in Bogenhausen von Giesecke & Devrient, dem Süddeutschen Verlag und dem Projekt der Bayeri­schen Versorgungs­kammer an der Richard-Strauss-Straße auf dem einstigen Siemens-Gelände.

„Da kommen also noch viele Verkehrsströme obendrauf, ein totaler Stau an vielen Knotenpunkten droht“, machte Brannekämper klar. Es gelte, jetzt ein Verkehrsmodell für den gesamten Münchner Osten zu erarbeiten, ehe über Zahlen für dass neue Stadtquartier gesprochen werden kann.

„Zurück auf Los“ bedeutet: Einhaltung der maximalen Vorgaben, die Anfang neunziger Jahre fest­geschrieben wurden. Damals war der seinerzeitige Stadtbaurat Uli Zech (SPD; im Amt von 1970 bis 1992; gestorben 2010) von höchstens 10 000 Bewohnern und etwa 2000 Arbeitsplätzen ausgegan­gen – verbunden ohne jegliche Eingriffe in den Naturraum jenseits des Hüllgrabens.

Ein Vergleich, der nachdenklich stimmt: Die Dichte der Stadt Fürstenfeldbruck (32,5 Quadratkilometer Fläche, 37 202 Einwohner entsprechend 1144 Einwohner pro Quadratkilometer Fläche) mit der Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Münchner Nordosten (30 000 Einwohner auf sechs Quadratkilometer Fläche entsprechend 5000 Einwohner pro Quadratkilometer Fläche). Grafik: Büro Robert Brannekämper

Aktuell werden vom Planungsreferat 30 000 Bewohner in etwa 12 500 Wohnungen und 10 000 Arbeitsplätze genannt. Diese Zahlen bezeichnete Brannekämper vor kurzem als „absoluten Wahnsinn“. Bei diesem Szenario wird gemäß RegioConsult der Naturraum jenseits des Hüllgrabens einbe­zo­gen, ist eine Überplanung des Reit-Olympiageländes und der Galopprennbahn mit. Unab­dingbar ist dabei grundsätzlich die Verlegung der S 8 in einen Tunnel.

Experte Wulf Hahn von RegioConsult – „die Stadt war bei der Datenherausgabe nicht gerade frei­zügig“ – bilanzierte seine Studien: „Es gibt für die Erschließung im Nordosten bisher keine verkehr­lichen konkreten Untersuchungen. Die geplanten Untersuchungen sind unzureichend. Geplante Projekte mit erheblichen zusätzlichen Verkehrsbelastungen sind nicht auf das bestehende Ver­kehrs­netz umgelegt. Die auf sechs Spuren ausgebaute A94 ist im Jahr 2030 im Bereich Daglfing / Riem mit 93 000 Fahrzeugen / 24h vollständig ausgelastet. Zusatzbelastungen aus dem SEM-Gebiet sind nicht verkraftbar.“

Und weiter: „Bereits jetzt kann man zeigen, dass einzelne Knotenpunkte nicht mehr leistungsfähig und mit erheblichen Staulängen verbunden sind, wenn einzelne Projekte wie die beschlossene Neubausiedlung (Anm. d. Red.: dort ist auch ein bis zu 60 Meter hoher Turm vorgesehen) an der Ecke Eggen­feldener – / Friedrich-Eckart-Straße umgesetzt werden.“

Zum diesem Beispiel überraschte Hahn mit einer Feststellung: „Die städtische Überprüfung kommt auf einen Wert von 90 Prozent entsprechend 2051 Fahrten. Wir haben 98 Prozent entsprechend 2954 Fahrten ermittelt. Die Zahlen unterscheiden sich also nicht wesentlich, aber die Bewertung!“ Das Stichwort dazu: erhebliche Rückstaus. Gemäß RegioConsult-Berechnungen kommt man also im Vergleich auf einen „höheren Neuverkehr“ von 903 Kraftfahrzeugen in 24 Stun­den, wobei in der „morgendlichen Spitzenstunde“ zusätzlich fast 100 Autos unterwegs sind.

Geograph Wulf Hahn (li.) von RegioConsult Verkehrs- und Umweltmanagement, Marburg, erstellte im Auftrag von Robert Brannekämper (Mi.), stellvertretender Vorsitzender des Bezirksausschusses Bogenhausen und CSU-Landtagsabgeordneter, eine verkehrliche Bestandsanalyse für die geplante Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Münchner Nordosten. Foto: hgb