16. Februar 2018

Der Widerstand gegen die geplante Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Nordosten Münchens, wo auf einem mehr als 600 Hektar großen Areal entlang der S-Bahnlinie von und zum Flughafen, entlang von Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen, auf der grünen Wiese Großbauten mit Wohn­raum für 30 000 Men­schen und rund 10 000 Arbeitsplätze entstehen sollen, wächst und wächst, wird immer massiver. Kurzum: es ist Feuer unter dem Dach!

Bislang elf Organisationen – Bürgerinitiative Lebenswertes Daglfing, Trachten-, Schützen- und Gar­ten­­bau­verein, Bündnis Gartenstadt, Bürgerinitiative Fauststraße, Jagdgenossenschaft Daglfing, Fo­rum, Lebenswer­tes München, IG Siedlung Johanneskirchen sowie der Förderverein der Freiwilligen Feuer­wehr Riem – und weit mehr als 200 Bürger haben sich zum „Bündnis NordOst“ zusammen­gefunden. Und sie werden gemeinsam aktiv.

Am Donnerstag, 21. Februar, 19 Uhr (Einlass ab 18 Uhr) veranstaltet das Bündnis in der Theater­fabrik an der Musenbergstraße in Johanneskirchen ein Treffen, um laut Ankündigung über „Europas größtes Bauvor­haben“ zu informieren. „Es geht um die Zukunft des Nordostens. Es gilt, eine Balan­ce zu finden zwischen Arbeit, Wohnen und Lebensqualität. Und alle Bürger mitzunehmen. Wir brau­chen dazu keine SEM“, fordert die Gruppierung um die Sprecher Markus Bichler, Andreas Hotschek und Daniela Vogt. Man will „die Planungen kritisch begleiten und konstruktiv mit gestalten.“ Vogt im Bezirksausschuss: „Die Bürger sollen zu Wort kommen, sollen Antworten erhalten.“

Mehr als 600 Hektar Fläche umfasst die geplante, im Rathaus noch nicht beschlossene Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Münchner Nordosten. Die Stadt und der Freistaat besitzen rund ein Viertel des Areals. Etwa 75 Prozent teilen mehr als 200 private Grundstücksbesitzer unter sich auf. Wie daraus, ohne Zwangsmaßnahmen, vernünftiges Planungsgebiet entstehen soll ist völlig unvorstellbar. Karte: Planungsreferat

Das Bündnis NordOst prangert an: München ist die am dichtesten besiedelte Großstadt in Deutsch­land, hat die meisten Einwohner pro Quadratkilometer; München hat – mit Ausnahme von Leipzig – am wenigsten Grünflächen; München ist am stärksten versiegelt und München ist Stauhauptstadt. Auch zunehmende, massive Verkehrsprobleme werden angeführt.

Das Thema Verkehr hatte Ende Januar Robert Brannekämper, Vize-Vorsitzender des Be­zirks­aus­schus­ses und CSU-Landtagsabgeordneter, als Folge des Ergebnisses einer bei der Fach­agen­tur für Stadt-, Verkehrs- und Umweltplanung „RegioConsult“ in Auftrag gegebe­nen verkehr­lichen Bestandsanalyse, kommentiert:

„Die Stadt ist in einem planerischen Blindflug unterwegs, der mit einer Bruchlandung endet. Die He­rangehensweise ist grundsätzlich falsch, sie mündet in einer Sackgasse. Es muss zuerst geprüft werden, was verkehrlich überhaupt möglich ist. Das Planungsreferat muss dazu seine Hausaufgaben machen. Deshalb muss die SEM jetzt gestoppt werden.“

Zum Hintergrund: Mit dem Instrument SEM können die Bodenpreise eingefroren werden, können Grundstückseigentümer in letzter Konsequenz enteignet werden. Gegen eine SEM haben bereits viele Anwohner und Landwirte, die in der Initiative „Heimatboden“ zusammenge­schlos­sen sind, mehrfach vehement protestiert. Sie haben einfach Angst um ihre (wirtschaftliche) Existenz, sind entschlossen, bis in die letzte Instanz zu klagen. Und auch der Bayerische Bauernverband sieht eine SEM kritisch, befürchtet weitreichen­de Folgen für die Landwirte. Viele Lokalpolitiker stehen den Betroffenen zur Seite.

Zu der Bündnis-NordOst-Veranstaltung – 40 000 Flyer wurden in Bogenhausen verteilt, an vielen Stellen plakatiert – erwarten die Organisatoren 1000 Besucher. Der eingeladene Oberbürger­meister Dieter Reiter (SPD) kommt nicht, besser: drückt sich. Er forderte in einem „Offenen Brief“ eine sachliche Auseinandersetzung, geht einer Diskussion aber aus dem Weg.

Das „Bündnis NordOst“ – um die Sprecher Daniela Vogt (li.), Markus Bichler (mi.) und Mitstreiterin Dagmar Dostleben (re.) – lädt am 21. Februar zu einer Diskussionsveranstaltung zur baulichen Entwicklung im Münchner Nordosten ein. Auf Plakaten beanstandet das Bündnis „Verkehrsinfarkt, Flächenfraß und Umweltzerstörung“. Foto: hgb

Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion, geleitet von Jetzt-red-i-Moderator Tilman Schöberl: Manuel Pretzl (Zweiter Bürgermeister und CSU-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat), Alexander Reissl (SPD-Fraktionsvorsitzender) und Katrin Habenschaden, Grünen-Chefin im Rathaus. Zur Sache referieren Robert Brannekämper, CSU-Landtagsabgeordneter, Vize-Vorsitzender des Be­zirks­ausschus­ses und Chef des Bogenhauser Untergremiums Planung,  Christian Hierneis (Landtagsabgeordneter Grüne, Vorsitzender Bund Naturschutz München) und Bündnis-Vertreter Bichler.

Für die Organisation und Durchführung des Treffens mit Podiumsdiskussion in der Theaterfabrik hat die Dachorganisation Bürgerinitiative Lebenswertes Daglfing beim Bezirksausschuss einen Unter­stüt­zungsantrag über 7075 Euro gestellt. Da sich zwischenzeitlich ein größeres Einsparpotenzial ergeben hat, wurde die Summe auf 5775 Euro reduziert.

Die Mitglieder des Untergremiums Budget, Vereine und Satzung stimmten dem Wunsch mit neun gegen drei Stimmen der SPD zu. Das Trio äußerte „Zweifel, hatte Probleme“, fand „alles ein wenig kurios“. CSU-Mann Xaver Finkenzeller konterte: „Bauchgefühl, Vermutung, Sie sagen nichts Konkretes.“ Und Manfred Krönauer (FDP) stellte klar: „Es ist eine gesellschaftspoli­ti­sche Frage, wie wir künftig zusammenleben wollen.“ Auch das Vollgremium billigte den Antrag – einstmmig!

Einen Tag vor der Tagung des Bogenhauser Untergremiums hatte der Ausschuss für Stadtplanung im Rathaus vorbehaltlich der Zu­stimmung durch die Vollversammlung die Eckdaten des städte­baulichen und landschafts­plane­rischen Ideenwett­bewerbs mit Modellen für 10 000, 20 000 und bis zu 30 000 Einwohner beschlossen. Somit können der Wett­be­werb mit bis zu 30 Archi­tek­turbüros und die Öffentlichkeitsbeteiligung starten.

Den Auftakt soll Mitte März eine „Dialog­ver­an­stal­tung“ mit den Bürgern sowie ein Treffen mit den Grundstückseigentümern bil­den. Die Ergebnisse des Ideenwettbewerbs sollen im ersten Halbjahr 2020 vorliegen und nach Beschluss durch den Stadtrat die Grundlage für den Ein­stieg in die weitere Planung einzelner Abschnitte bilden. Grundsätz­liche Voraussetzung für jegliche Baumaßnahmen im Nordosten ist ein Tunnel für die S-Bahn und den Güterzug-Verkehr.

Zu all dem zwei Ansichten aus der Rathaus-Runde: Sollte ein Grundstückseigentümer seinen Besitz nicht verkaufen wollen, soll dessen Areal – um eine Enteignung zu vermeiden – aus dem Pla­nungsgebiet herausgenommen und langfristig als Bauland gesperrt werden. Wie das funktionie­ren soll, das blieb offen. Und, so Grünen-Stadtrat Herbert Danner: Die Bebauung auf etwa 100 Hektar beschränken, auf dieser Fläche Wohnraum für rund 25 000 Menschen schaffen. Das wäre eine dichtere Bebauung als in der Messestadt Riem. Abenteuerlich!