17. Juli 2019

Zu unserem Bericht vom 10. Juli 2019 „Bogenhausen 2040: 115 000 Einwohner“ hatte ein Bürger der Redaktion eine Leser-Mail geschickt: „Sie behaupten dass in der Prognose des >Demografiebe­richts 2040< der Stadt der Einwohnerzuwachs in Folge von Neubebauungen im Rahmen der SEM nicht berücksichtigt seien. Dies ist nicht korrekt. Im RatsInformationsSystem (RIS) der Stadt unter https://www.rismuenchen.de/RII/RII/ris_vorlagen_dokumente.jsp?risid=5488298 (direkter PDF-Link: 2019-07-03_LHM_Demografie-Bericht-Teil-2) kann der Demografiebericht abgerufen werden.“

Der Bürger führt in der von unser-bogenhausen.de redaktionell bearbeiteten Mail aus: Dort heißt es auf Seite 60 des Berichts, dass für die momentane Prognose von einem Neubau von 7200 Wohnungen im Planungsgebiet Nordosten bis 2040 ausgegangen wird.

Im Wortlaut: Bogenhausen wird mittelfristig einen beachtlichen Wachstumsschub erfahren. Ob­wohl zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht entschieden ist, wie viele neue Wohnungen zwischen Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen entstehen werden, ist davon auszugehen, dass die Entwicklung des Münchner Nordostens zu einem deutlichen Einwohnerzuwachs führen wird. Für die Prognose wurde bis 2040 von einer Realisierung von knapp 7200 Wohnungen ausgegangen. Die gesamte Maßnahme wäre jedoch erst nach dem Jahr 2040 abgeschlossen. Hierzu ist anzu­merken, dass die Prognosen für die soziale Infrastrukturplanung bei neuem Planungsstand auch den aktuellen Entwicklungen angepasst werden.“

Und weiter: „Daher ist die Aussage, dass nach aktuellem Planungsstand nach 2040 bis zu 30 000 weitere Menschen durch dortige Neubautätigkeit nach Bogenhausen ziehen könnten, wahlweise falsch oder hochgradig irreführend, da bereits 10 000 bis 18 000 (je nach Schätzung der durchschnittlichen Haushaltsgröße) Einwohner in der Prognose bis 2040 enthalten sind.“

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In unserem Artikel ist ausgeführt: Bogenhausen würde bis 2040 von 87 164 Menschen – Stand 31. Dezember 2017 – auf rund 115 000 Einwohner wachsen. Die Zahl 115 000 für Bogenhausen ist ohne den geplanten neuen Stadtteil jenseits der S-Bahn vom und zum Flughafen prognostiziert. Dort könnten nach heutigem Stand nach 2040 weitere 10 000 bis 30 000 Bürger leben. Summa summarum also maximal bis zu 145 000 Menschen.

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Mehr als 600 Hektar Fläche umfasst die geplante, noch nicht beschlossene Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Münchner Nordosten. Die Stadt und der Freistaat besitzen rund ein Viertel des Areals. Etwa 75 Prozent teilen mehrere hundert private Grundstücksbesitzer unter sich auf. Wie daraus vernünftiges Planungsgebiet entstehen soll – kaum unvorstellbar. Karte: Planungsreferat

Zum Ablauf I: Bei der Texterfassung lag unser-bogenhausen.de Teil 1 zum >Demografiebericht 2040< vor. Unter Bezug auf einen Bericht der Abendzeitung (AZ) vom Dienstag, 2. Juli, zu den Entwicklungen in den 25 Stadtbezirken wurde der Wert 115 000 Einwohner bis 2040 für Bogen­hausen berechnet – und dieser in unserer Headline mit einem Fragezeichen versehen.

Zum Ablauf II: Teil 2 zum >Demografiebericht 2040< zu den Entwicklungen in den 25 Stadtbezir­ken sollte erst „im Sommer“ präsentiert werden, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet hat. Gleich­wohl wurden die Zahlen nach der Tagung des Planungsreferats am Mittwoch, 3. Juli, „der Öffent­lichkeit zugänglich gemacht“, wie es in der Rathaus-Vorlage dazu heißt. Weil die Angaben bereits tags zuvor in der AZ zu lesen waren?

Richtig ist: Für die Prognose wurde, wie sie der Bürger ausführt, bis 2040 im Nordosten von einer Reali­sierung von knapp 7200 Wohnungen ausgegangen. Ohne Bewohnerzahl!

Nicht nachvollziehbar ist: Wie kommen die Statistiker auf „knapp 7200 Wohnungen“? Ein Kommunalpolitiker, auf diese Zahlen angesprochen, meinte sarkastisch: „Da haben die in der Stadt wohl mal wieder gewürfelt.“

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Eckdaten zum besseren Verständnis des Komplexes Entwicklung Bogenhausen:

Fakt 1 • Ohne Tieferlegung der S 8 zwischen Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen, also ohne einen Tunnel, rückt kein Bagger jenseits der S-Bahnlinie an. Das hat der Stadtrat am 15. Juni 2016 beschlossen und später auch noch einmal bestätigt.

Gemäß dem Entwurf des Planungsausschusses für den Stadtrat, datiert vom 20. Mai 2016, kalku­lierten die Fachleute für die Tunnellösung mit bis 2,5 Jahren Planungszeit, einer Genehmigungs­phase von rund zwei Jahren und einer Bauzeit von sechs bis acht Jahren. Folglich wäre der Tunnel – aus heutiger Sicht – frühestens in rund zehn Jahren, spätestens in mehr als zwölf Jahren fertig gestellt. Also 2029 bzw. 2031.

Aber • Diese Daten, Also 2029 bzw. 2031, haben die Experten der Deutschen Bahn (DB) inzwi­schen längst kassiert. Sie gehen von einer Inbetriebnahme nicht vor 2037 aus. Eine Fortsetzung dieser Jahreszahl dürfte nur mehr eine Frage der Zeit sein.

Stand 2011 • Die Kostenkalkulation für den Tunnelbau belief sich auf rund 670 Millionen Euro.

Stand 2016 • Die Fachleute hatten „Kosten inkl. mögl. Steigerung Baukostenindex“ bis zur Inbetriebnahme von 970 Millionen Euro errechnet; Anteil der Stadt: etwa 800 Millionen Euro.

Stand 2018, August • Die DB taxierte – lies schätzte – das Projekt gemäß Unterlagen im Planungsausschuss auf 2,3 Milliarden Euro. Geht man von einem 80-Prozent-Anteil Münchens aus, wären das mehr als 1,8 Milliarden Euro.

Ausblick 2037 • Kosten – wenn laut Bahn alles fertig sein soll, besser sein könnte, unter Berück­sichtigung einer jährlichen Steigerung von fünf Prozent, was Experten durchaus für wahrscheinlich erachten – 4,7 Milliarden Euro; der 80-Prozent-Brocken für die Landeshauptstadt betrüge in etwa 3,8 Milliarden Euro. Hamburg und die Elbphilharmonie wie auch Stuttgart 21 (neuer Hauptbahnhof, Kosten 8,2 Milliarden Euro) lassen schön grüßen. Übrigens: Der DB-Jahresumsatz 2018 betrug 44 Milliarden Euro, der Gewinn 542 Millionen Euro …

Fakt 2 • Für das mehr als 600 Hektar große Areal läuft ein Architektenwettbewerb mit Modellen für 10 000, 20 000 und 30 000 Einwohner. Daher die Schlussfolgerung in unserem Bericht: … könnten dort aus heutiger Sicht nach 2040 weitere 10 000 bis 30 000 Bürger leben. Wohlgemerkt könnte – Konjunktiv!

Fakt 3 • Von den besagten mehr als 600 Hektar besitzt die Stadt / der Freistaat etwa ein Viertel, also rund 150 Hektar. 75 Prozent der Grundstücke befinden sich so denn in Privatbesitz – und über die wird planerisch einfach mal so verfügt. In der Schule würde es heißen: „Setzen, sechs!“

Wie man eine SEM durchzieht, das demonstrierte die Stadt Freiburg. Eine eigens gegründete Tochter eines Geldinstituts verhandelte mit den Eigentümern, die mit fürstlichen Quadratmeter­preisen bei einem Verkauf entlohnt wurden. Flächen(inseln), die Besitzer nicht veräußern wollten, wurden getauscht, ein zusammenhängendes Bauareal entstand. Wie’s im Nordosten Münchens (derzeit) ausschaut, zeigt plakativ eine Karte des Planungsreferats.

Hoffnung • „Die Stadt ist in einem planerischen Blindflug unterwegs, der mit einer Bruchlandung endet. Die Herangehensweise ist grundsätzlich falsch, sie mündet in einer Sackgasse, führt zu einem Desaster. Es muss zuerst geprüft werden, was verkehrlich überhaupt möglich ist. Das Planungsreferat muss dazu seine Hausaufgaben machen. Deshalb muss die SEM im Nordosten jetzt gestoppt werden.“ Mit diesen scharfen Sätzen hatte Robert Brannekämper, Vize-Vorsitzender des Bezirksausschusses Bogenhausen und CSU-Landtagsabgeordneter, zu Jahresbeginn ein „Zurück auf Los“ für die SEM gefordert.

Das bedeutet: Einhaltung der maximalen Vorgaben, die Anfang neunziger Jahre festgeschrieben wurden. Damals war der seinerzeitige Stadtbaurat Uli Zech (SPD; im Amt von 1970 bis 1992; t 2010) von höchstens 10 000 Bewohnern und etwa 2000 Arbeitsplätzen ausgegangen.