2. Februar 2020

Zwei Wolkenkratzer, 100 und 60 Meter hoch mit 26 und 15 Stockwerken, verbunden durch einen 50 Meter hohen und etwa 100 Meter langen Riegel – dieses dreiteilige Ensemble wird die neue Zentrale der Bayerischen Versorgungskammer (BVK; 2,3 Millionen Versicherte, Kapitalanlagevolumen knapp 90 Milliarden Euro) auf dem ehemaligen, rund 20 000 Quadratmeter großen Siemens-Areal an der Richard-Strauss-Straße 76. Es ist das größte Bauvorhaben im Stadtbezirk in den kommenden Jahren – verbunden mit Fragen und Problemen.
Der Knackpunkt des Projekts ist der Verkehr. Der Abriss der Siemens-Gebäude beginnt am Montag, 3. Februar; ab November 2021 wird betoniert, im Oktober 2024 soll der Komplex fertig sein. 13 Monate sind für Rückbau und Entkernung geplant, werktags zwischen 7 und 20 Uhr fahren die Baulaster an und ab. Und mit dem Bezug sind’s die Autos von Mitarbeitern, Zulieferern – und Mietern. Ist ein Chaos programmiert? Abwarten!

Abgesegnet ist alles vom Planungsreferat. Und der Stadtrat hat in Folge Anfang Dezember ohne Gegenstimme die Aufstellung eines Vorhaben bezogenen Bebauungsplans beschlossen. Besitzerin des Bogenhauser Filetgrundstücks – der Kaufpreis ist „geheim“ – ist die „RS 76 OHG“; die Gesellschafter sind neun berufsständische Versorgungswerke, die durch die BVK vertreten werden. Mit der Planung und Umsetzung wurde die Strabag Real Estate GmbH beauftragt. Das Baurecht soll bis Sommer 2021 im Rathaus beschlossen werden.
Vorweg: Alle Angaben und Erläuterungen in der dritten Informationsrunde, „ein Zwischenstand“, für Anwohner und Medien erscheinen auf den ersten Blick logisch und verständlich. Analysiert man diese aber gründlich, ergibt sich ein mehr oder minder kompliziertes Gebilde mit Folgen. Denn:
Von den aktuell 1320 Beschäftigten in den Bestandsgebäuden an der Arabella- und Denninger Straße mit 34 000 Quadratmeter Bürofläche (die Zahl wurde im September 2018 von einem BVK-Vertreter im Bezirksausschuss genannt ebenso wie „künftig“ zusätzlich rund 500 Beschäftigte) kommen nach BVK-Angaben rund ein Drittel zu Fuß oder mit dem Fahrrad, rund ein Drittel mit der U-Bahn oder dem Bus und ungefähr ein Drittel mit dem Auto zur Arbeit.
Vorstandsvorsitzender Daniel Just erwartet, dass mindestens 25 Prozent der bis 2024 kalkulierten knapp 1400 Mitarbeiter flexible Arbeitszeiten nutzen und zu Hause arbeiten, Stichwort Home Office. Diese 25 Prozent von der Zahl 1400 abgezogen und vom Ergebnis ein Drittel genommen ergibt bis zu 350 Mitarbeiter, die mit dem Auto zur Arbeit kommen. Und dafür gibt’s 800 Tiefgaragenplätze. Dass das nicht zusammenpasst, erschließt sich selbstredend.
Büroflächen werden nämlich vermietet. Besagte „künftig zusätzlich rund 500 Beschäftigte“ zu den bis zu 350 BVK-Mitarbeitern, die mit dem Auto kommen, addiert – und schon stimmt ungefähr die Rechnung mit den 800 Stellplätzen.

Der Plan für den Bau der neuen Zentrale der Bayerischen Versorgungskammer (BVK): Zwei durch einen 50 Meter hohen Riegelkomplex verbundene Türme, 100 und 60 Meter hoch, mit einer großen begrünten Freifläche hin zur Richard-Strauss-Straße und einem Durchgang zum Denninger Anger. Visualisierung: David Chipperfield Architects / Bearbeitung: hgb

Nachgefragt I bei Julia Thannhäuser, Referentin Unternehmenskommunikation: „Wie viel Arbeitsplätze sind in den drei neuen Gebäuden insgesamt vorgesehen?“ – „Das ist abhängig vom Flächennutzungskonzept der BVK, das derzeit noch in Planung ist sowie das der potentiellen Mieter. Eine konkrete Zahl können wir daher nicht nennen.“
Nachgefragt II: „Wie viel Quadratmeter Bürofläche gibt es in den drei Gebäuden?“ – „Es soll eine Geschossfläche (GF) von circa 72 000 Quadratmeter umgesetzt werden, von denen circa 53 000 Quadratmeter auf Büros und rund 19 000 Quadratmeter auf Sondernutzungsflächen entfallen.“

Nachgefragt III: „Wie viel Quadratmeter Bürofläche gibt es in etwa in der bestehenden Zentrale?“ – „Diese Zahl ist mit der künftigen Quadratmeterzahl an Bürofläche nicht vergleichbar, da sie mit einem anderen Verfahren erhoben wurde. Auf diesem Grund würde eine konkrete Zahl keiner Plausibilisierung standhalten.“
Verkehrsgutachten der Strabag: Untersucht wurden die Knotenpunkte Leuchtenbergring / Einsteinstraße, Richard-Strauss- / Prinzregentenstraße / Leuchtenbergring, Richard-Strauss- / Denninger Straße, Effnerplatz und Richard-Strauss- / Mühlbaur- / Stuntzstraße. Ergebnis: „Auf Grund der vergleichweise geringen Neuverkehrsmenge wirkt sich das Vorhaben nicht spürbar auf die Verkehrssituation aus.“ Bei all dem unterlief ein dicker Fehler: „Klare verkehrliche Erschließung über den Mittleren Ring.“ Dieser verläuft seit Juli 2009 unterirdisch, im Richard-Strauss-Tunnel! Laut Erläuterungen wurden die „Stoßzeiten berücksichtigt“. Und: „Bis 2030 gibt es auf der Richard-Strauss-Straße keine weitere Verkehrszunahme.“

Verkehrszahlen: Im Entwurf des Einleitungs- und Aufstellungsbeschlusses zum Bebauungsplan für den Stadtrat durch das Planungsreferat heißt es unter dem Punkt >Motorisierter Individualverkehr (MIV) und Ruhender Verkehr<: „Die geplante Bebauung verursacht ein Verkehrsaufkommen von etwa 2050 Kfz-Fahrten am Tag. Entsprechend einer ersten Einschätzung durch Gutachter kann die Tiefgarage inklusive dem regelmäßigen Anlieferverkehr, Taxis etc. leistungsfähig aus beiden Richtungen der Richard-Strauss-Straße erschlossen werden. Das Verkehrsaufkommen hat keinen wesentlichen Einfluss auf das Verkehrsgeschehen längs der Richard-Strauss-Straße bzw. an benachbarten Knotenpunkten.“
Und weiter: „Die Stellplätze sind über eine gemeinsame Zu- und Ausfahrt im südlichen Teil des Grundstücks an die Richard-Strauss-Straße angebunden. Über diese Tiefgarage wird auch der regelmäßige Anlieferverkehr unter anderem für Kantine und Büronutzung sowie untergeordnete additive Nutzungen abgewickelt.“
Prognose: Laut Plänen gibt es zwei Ausfahrten und eine Einfahrt auf die Richard-Strauss-Straße. Die Autofahrer können also aus beiden Fahrtrichtungen links abbiegen. Schon ein Check bei der benachbarten Tankstelle macht deutlich, dass es oft zu waghalsigen Beschleunigungen und durch ausfahrende „Vordrängler“ zu Unterbrechungen des Verkehrsflusses, zu Hauruck-Verkehr verbunden mit Rückstaus, kommt. Mehr als zusätzliche 2000 Fahrten pro Tag stimmen nachdenklich.

Der Siegerentwurf für den Bau der neuen BVK-Zentrale auf dem einstigen Siemens-Areal an der Richard-Strauss-Straße mit dem 100 Meter hohen Bürosilo und dem Verbindungsbau (das zweite Hochhaus ist dadurch verdeckt). Im Hintergrund: der HypoBank-Wolkenkratzer. Visualisierung: David Chipperfield Architects

Rückbau / Baustellenverkehr: Laut Angaben wird der Siemens-Rückbau trotz Schutzvorhängen und Wassernebelwänden zur Staubbindung „laut und dreckig“. Sprengungen sind wegen Erschütterungen nicht möglich. Ob in Fugen Asbestreste drin stecken, das müsse man erst noch untersuchen. „Auf welchen Routen erfolgt der Materialabtransport? – „Das ist noch festgelegt.“ – „Wie viel Lasterfahrten gibt es pro Tag?“ – Schweigen. Angesagt wurde: Baustellenverkehr montags bis freitags von 7 bis 20 Uhr. Sollte dieser über die Denninger Straße führen, ist das Nadelöhr zwischen Tunnelausfahrt und der kurzen Rechtsabbiegespur kein Nadelöhr mehr. Er ist zumindest zeitweise blockiert.
Wohnungen: Laut Daniel Just besitzt die BVK in München mehr als 6000, in der Umgebung der Zentrale etwa 800 Wohnungen, darunter einige gegenüber dem HVB-Tower. Und 20 Prozent der Mitarbeiter leben in Werkswohnungen.

Bestehende Zentrale an der Arabella- / Denninger Straße: „Ohne juristisch wasserdichte Zusage, auf 50 Prozent des Areals im Arabellapark Mietwohnungen zu realisieren, werden das BVK-Projekt für eine neue Zentrale und die weiteren Pläne nicht weiter verfolgt.“ Diesen Beschluss hat das Bogenhauser Kommunalparlament im September 2018 gefasst.

Knackpunkt des BVK-Projekts: Täglich mehr als 2000 zusätzliche Fahrten, die über zwei Ausfahrten und eine Zufahrt in die bzw. von der Richard-Strasse Straße führen, wobei es auf der schmalen Fahrspur vor allem wegen Linksabbiegern zu Problemen kommen dürfte. Plan: Strabag Real Estate / Bearbeitung: hgb

Robert Brannekämper, Vize-Vorsitzender des Bezirksausschusses und CSU-Landtagsabgeordneter, in Folge in einem Offenen Brief an Oberbürgermeister Dieter Reiter: „Nicht berücksichtigt ist die vom Vorstandsvorsitzenden ursprünglich mir gegenüber zugesagte Umwandlung der alten Bürostandorte in Wohnraum, die angesichts der um 500 Stellen anwachsenden Belegschaft dringend notwendig und unabdingbar ist. Hier gibt es bislang nur eine vage Absichtserklärung der Versorgungskammer, aber keine konkreten Zusagen hinsichtlich für eine Umwandlung.“
Stand heute: Just und Vize-Vorstandschef Ulrich Böger auf unsere Nachfrage: „Wir überlegen, was wir mit den Gebäuden machen.“ – „Ist eine Umwidmung von Büro- in Wohnraum technisch machbar?“ – „Das können wir fast ausschließen.“

Statement Daniel Just: „Ich habe drei Botschaften. Wir sind hier seit Jahrzehnten, seit 1980, zu Hause. Wir wollen hier am Arabellapark auch bleiben, fühlen uns mit dem Viertel stark verbunden. Wir denken bei unseren Investments und beim Neubau der Zentrale langfristig und nachhaltig. Wir haben versucht, die Versieglung der Flächen so gering wie nur möglich zu halten, nur 20 Prozent des Areals werden bebaut. Wir wollen, dass das Quartier weiter entwickelt, aufgewertet und erlebbar wird, vor allem durch eine Gastronomie, eine Kindertagesstätte, der Skybar im Turm, der Öffnung hin zum Denninger Anger – ohne die heutige Abschottung durch Zäune. Grundsätzliches Ziel ist der Dialog, die Transparenz und eine gute Nachbarschaft. Der Grundstückskauf war eine einmalige Chance. Wir bauen keinen Palast, wir wollen kein großes Logo am Gebäude, wir verzichten auf Schnick-Schnack.“

Der Weg von der Richard-Strauss-Straße in den Denninger Anger: Heute abgeschottet durch einen hohen Metallzaun, künftig ist das Gelände frei zugänglich. Foto: Strabag Real Estate

Nachbarn: „Ist denn ein 100-Meter-Turm notwendig? Könnte man ihn nicht niedriger machen und dafür auf den kleinen Turm ein paar Stockwerke aufsetzen?“ wollte eine Anwohnerin wissen. Dazu ein Vertreter des Architekturbüros: „Ein 100-Meter-Turm ist kein riesiges Hochhaus.“ Bei einer Änderung befürchtet er die Anmutung von „Plattenbauten“. – Und ein Mann forderte Just auf, seinen Einfluss bei der Stadt geltend zu machen, „dass endlich, nach mehr als vier Jahrzehnten, die U4 nach Englschalking verlängert wird.“