08. Juli 2021

SEM: Petition plus Protest – was nun?

Ende April 2018 hatte Johann Oberfranz, Sprecher von Heimatboden Nordost, die Petition zu „Transparenz und Rechtsstaatlichkeit“ bei der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) – „die erste bundesweit auf Privatflächen“ – im Nordosten Ministerpräsident Markus Söder überreicht. Wenige Wochen danach wurden die Unterlagen an Harald Schwartz, Vorsitzender des Petitions­ausschusses im Maximilianeum, übergeben. Jetzt ging’s weiter.

Also knapp drei Jahre später machten sich die Abgeordneten des Ausschusses für Wohnen, Bau und Verkehr – Sebastian Körber (FDP, Vorsitzender), Josef Schmid (CSU), Natascha Konen (SPD; beide Berichterstatter) – zusammen mit Robert Brannekämper, Bogenhausens CSU-Landtags­abgeordneter, ein, so Schmid, „Bild vor Ort“ bei Gesprächen mit rund 60 Grundstückseigentümern und Anwohnern sowie bei einer Politiker-Presse-Traktor-Anhänger-Rundfahrt.

Dunkle Wolken über dem geplanten SEM-Teilgebiet Johanneskirchen: Mais- und Braugerstefelder, Wälder, Wiesen, Gehölz, Blumen – unvorstellbar, dass diese Flächen einmal zubetoniert und asphaltiert sind. Foto: hgb

Klar wurde allseits, was Oberfranz betonte: „Die SEM wird uns noch sehr lange beschäftigen.“ Kurzfristiger Aspekt: Der Wohnen-Bau-Verkehr-Ausschuss tagt erst wieder nach den Sommer­ferien. Mittelfristiger Aspekt: Der Landtag wird wohl nicht über das Projekt urteilen. Langfristiger Aspekt – was langfristig auch immer bedeutet: Nach Behandlung der Petition geht sicherlich alles wieder zur Stadt. „Die hat die Planungshoheit“, so Konen. Und die Verlegung der Bahntrasse, vom Stadtrat als Voraussetzung für eine wie auch immer geartete Bebauung beschlossen? Ansätze von Monopoly.

Die Auseinandersetzung um die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme – vor knapp zehn Jah­ren eingeleitet, damit den Bodenpreis eingefroren, was Ackerland war bleibt Ackerland – auf einem rund 600 Hektar großen, überwiegend landwirtschaftlich genutzten Areal (ohne die Flächen der Pferdesportanlagen) entlang der S8-Trasse zwischen Daglfing, Englschalking und Johanneskir­chen, wo einmal nach vorliegenden Planungen in acht Teilstücken (zuvor war stets die Rede von einer „Planung aus einem Guss“) bis zu 30 000 Menschen leben und weitere bis zu 12 000 arbeiten sollen, hält also weiter unvermindert an. Sicherlich noch einige Jahrzehnte.

Fakt ist: Von den besagten 600 Hektar sind 450 Hektar in Privatbesitz (350 Flurstücke, 525 Eigen­tümer), der Stadt und dem Freistaat Bayern gehören 150 Hektar (250 Flurstücke). Ob das überhaupt in Einklang zu den Planungen zu bringen ist? Fraglich!

„Ein Bild vor Ort“ zur Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Nordosten auf rund 600 Hektar machten sich (v. li.): Heimatboden-Rechtsanwalt Benno Ziegler, Johann Oberfranz, Sprecher von Heimatboden Nordost, Landtagsabgeordneter Josef Schmid (CSU), Bogenhausens Vertreter im Maximilianeum Robert Brannekämper (CSU), Landtagsabgeordnete Natascha Konen (SPD) und Sebastian Körber (FDP, Vorsitzender Ausschusses für Wohnen, Bau und Verkehr). Foto: hgb

Gleichwohl das Planungsreferat „verbal in jüngster Zeit abgerüstet hat, haben die Leute hier nach wie vor Angst“, so Heimatboden-Rechtsanwalt Benno Ziegler. Und: „Wir werden das gesamte Projekt nicht verhindern können, wir wollen aber Gespräche mit der Stadt auf Augenhöhe.“ Das sei aber nicht möglich, so lange per SEM, ein gesetzlich anwendbares Instrument, bei ablehnender Verkaufsbereitschaft Enteignungen – „ein Damoklesschwert“ – drohen. Die Stadtvertreter verneinen dies indes immer wieder.

Stichwort Angst: Die Landwirte und ihre Familien, viele von ihnen seit Generationen hier tätig, fürchten um ihr Ein- und Auskommen, ja um ihre Existenz einerseits und dass ihnen andererseits der Boden quasi unter den Füßen weggezogen werden könnte.

Worum geht’s „im Kern“? fragte Schmid in die Runde. „Sind die Flächen, die bebaut werden sol­len, Bauerwartungsland oder landwirtschaftliche Flächen?“ Ersteres hätte drastische Auswir­kungen auf die Höhe des Kaufpreises für Grundstücke. Im Grunde genommen ist das gesamte Areal aber bereits Bauerwartungsland, denn es wird gemäß Oberfranz getrickst. Ein Beispiel „ist ein großer Acker, auf dem Braugerste für Augustiner angebaut wird, der inzwischen als >Freizeitflä­che< ausgewiesen worden.“ Da staunten die Abgeordneten.

Angaben, die Jurist Zieger in der Petition dargelegt hat: 2012 betrug der Bodenrichtwert für landwirt­schaftliche Areale zehn Euro pro Quadratmeter; für Freizeitflächen waren es rund 35 Euro. Zum Stichtag des Bodenrichtwerts am 31. 12. 2014 (Anm. d. Red: die Bodenrichtwerte werden alle zwei Jahre zum Ende des Monats Dezember vom Gutachterausschuss festgelegt) wurde von einer Er­bengemeinschaft ein landwirtschaftlich genutztes Grundstück verkauft – für 150 Euro pro Quadrat­meter! Die Nutzungsart wurde von den Gutachtern als „FZ“ deklariert, als Freizeit- und Wochen­endfläche. „Prima kaschiert“, kommentierte Ziegler. Preis zum Stichtag des Bodenrichtwerts am 31. 12. 2016: 330 Euro wert. Ziegler zur Folge: „Die Grundstückswerte in der Umgebung schnellten nach oben“.

Ende April 2018 hatte Johann Oberfranz, Sprecher von Heimatboden Nordost (li.), die Petition zur SEM im Nordosten Ministerpräsident Markus Söder überreicht. In der Mitte CSU-Landtagsabgeordneter Robert Brannekämper. Archivfoto: ikb

Falsche Bodenrichtwerte, fehlerhafte Darstellungen in den Bodenrichtwertkarten und anderes mehr moniert Ziegler, fordert: „Dazu muss Öffentlichkeit hergestellt werden. Es ist unfassbar, was da al­les abgelaufen ist und noch weiter abläuft. Es wird manipuliert, Gesetze sind konterkariert wor­den. Rechtliche Vorgaben wurden im Interesse von Grundstückskäufern kaschiert, mit den Boden­richtwerten wird gespielt, Spekulationen wurden ermöglicht. Die Verwaltung im Rathaus informiert den Stadtrat falsch.“ Knallharte Vorwürfe.

 

Das Fazit des Rechtsanwalts seinerzeit bei der Übergabe an Schwartz: „Die Petition ist unser letz­tes Mittel. Wir haben keine andere Chance mehr als das Petitionsrecht. Die Regierung soll wieder für Ordnung sorgen.“ Dazu Schwartz: „Bodenpreismanipulation – das ist ein harter Vorwurf.“ Und zur Klarstellung: „Der Petitionsausschuss ist kein Gericht, ist keine Rechtsaufsicht. Wir geben eine politische Bewertung ab. Deshalb sollte man sonstige Rechtsmittel weiter verfolgen.“