Villa

5. Januar 2018

Es wäre ein Präzedenzfall, auf den sich Eigentümer von denkmalgeschützten Gebäuden in diesem Geviert berufen könnten, um ihr Haus baulich in den Gartenbereich zu erweitern: Der 1977, also vor mehr als 40 (!) Jahren, realisierte und seitdem immer wieder befristet genehmigte, rückwärtige Anbau – die Grund­maße des zweistöckigen Provisoriums betragen etwa zehn mal zehn Meter – an einer Villa in der Possartstraße 29 könnte entgegen bisheriger Entscheidungen eventuell doch genehmigt werden. Dagegen wurde im Landtag von vier Bogenhauser CSU-Lokalpolitkern eine Petition eingereicht, um die Villa „von dem verunstaltenden und rechtswidrigen Erweiterungstrakt zu befreien.“

Villa
Die HNO-Klinik Dr. Gaertner an der Possartstraße 29 in Altbogenhausen mit dem seit Jahrzehnten umstrittenen Anbau im Gartenbereich. Foto: Kanzlei Schönfelder/Ziegler/Lehners

Zum Hintergrund: In besagter Villa im herrschaftlichen Altbogenhausen befindet die Hals-Nasen-Ohren-(HNO)-Klinik Dr. Gaertner. Zum Klinik-Komplex gehören auch die denkmalgeschützten Häuser mit den Hausnummern 27 (seit 1999) und 31 (seit 2013). Die Gebäude sind angemietet, Besitzer ist die Familie Böhmler, bekannt durch das Einrichtungshaus „Böhmler im Tal“.

Wie kam’s zu dem plötzlichen behördlichen Sinneswandel, zur Kehrtwende bei einer vermeintlichen Formsache, kurz vor Weihnachten? Noch im Sommer wollten nämlich die Lokalbaukommission (LBK) im Planungsreferat und das Landesdenkmalamt den Trakt nicht mehr dulden, keinen weite­ren Aufschub mehr gewähren.

Nach einer Intervention per Mail von Steuerberater Peter Amon bei der CSU-Landtagsabge­ordneten Mechthilde Wittmann, laut Xaver Finkenzeller, dem CSU-Fraktionssprecher im Bezirks­ausschuss, von ihr weitergeleitet an die LBK, änderte sich die Sachlage. Finkenzeller ist verärgert, denn Wittmann sei doch örtlich gar nicht zuständig, sie hätte die Kollegen in Bogenhausen doch unterrichten müssen.

Eine politische Einflussnahme, eine Beziehungskiste? Im Schwäbischen wird in derartigen Fällen von „Vetterleswirtschaft“ gesprochen. Amon, wortwörtlich wiedergegeben, in der Mail-Anrede: „Liebe Mechthild…“

Bei der Begründung für die Genehmigung spricht Robert Brannekämper, stellvertretender Vorsitzender des Bezirksausschusses und CSU-Landtagsabgeordneter für Bogenhausen, jedenfalls von Halbwahrheiten und Fehlern der städtischen und staatlichen Behörden.

Zurück zur veränderten Sachlage: Auf telefonische Anfrage erklärte die Behörde gegenüber Rechtsanwalt und Baurechtsexperte Benno Ziegler – er vertritt den Petitionseinreicher Finkenzeller und seine Mitstreiter aus dem Stadtteilgremium, Kilian Mentner, Tassilo Strobl sowie Peter Reinhardt, – „am Montag, 18. Dezember, dass die Baugenehmigung bei der LBK-Juristin zur Freizeichnung liegt.“ Noch am selben Tag ging die Petition mit dem Vermerk „Eilt – bitte sofort vorlegen – es droht Vollzug“ per Bote zum Landtag. Die Forderung: Die Stadt München und das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege zu veranlassen, Recht und Gesetze zum Schutz des Baudenkmals Possartstraße 29 „konsequent zu erfüllen“. Ansonsten befürchtet das Quartett nämlich eine Signalwirkung für das Bogenhauser Ensemble.

Zum besseren Verständnis: Die neoklassizistische Villa, erbaut zwischen 1910 und 1912, befindet sich in einem Geviert mit 16 Gebäuden, von denen 15 unter Einzeldenkmalschutz stehen. 1953 wurde die Klinik von Wolfram Gaertner gegründet. 1977 wurde das Haus um besagten Anbau – Ziegler bezeichnet ihn als „hässlichen Klotz“ – erweitert mit der Auflage ihn „nach Ablauf der Ge­nehmigungsfrist von 15 Jahren zu beseitigen. Ergo war der Trakt ein Provisorium. Gemäß dem Landesamt für Denkmalpflege und dem Heimatpfleger sind seinerzeit laut behördlichem Bescheid „bestehende Bedenken nicht ausgeräumt, sondern lediglich zurückgestellt“ worden.

Anbau
Der bis dato geduldete, aber nicht genehmigte Anbau an der HNO-Klinik Dr. Gaertner, Possartstraße 29. Gemäß Bauunterlagen soll der Baum (li.) besteigt und ein drei Meter breiter Treppenturm angefügt werden. Foto: Kanzlei Schönfelder/Ziegler/Lehners

Im Februar 1988 beantragte Gaertner dann die Aufhebung der zeitlichen Befristung. Die LBK lehnte ab. Laut Heimatpfleger war „unter dem Gesichtspunkt der Stadtbildpflege der ungegliederte Anbau noch ungünstiger zu bewerten als zum Zeitpunkt seiner Genehmigung 1977.“

Gleichwohl, Stand November 1988, wäre eine Duldung des Anbaus nach Ablauf der 15 Jahre möglich unter der Vor­aussetzung, dass bis Ende Juni 1989 „die Fassadenbegrünung ausgeführt wird“. Doch Gaertner erwies sich nicht als Gärtner – keine Anpflanzungen. Stattdessen beantragte er 1997 die unbefris­tete Genehmigung des Anbaus. Angelehnt – auch „im Hinblick auf die Nichteinhaltung der Abstandsflächen.“

Das Hickhack ging weiter. Den LBK-Änderungsbescheid, datiert vom 28. April 1998, kann man nicht anders als ein Eigentor bezeichnen: „Der rückwärtige Anbau wird für die Dauer von 20 Jahren“ geduldet. Also bis April 2018. Rechtzeitig vor diesem Termin, lagen im September 2017, bei der Tagung des Bezirksausschusses, neue Pläne auf den Tisch:

„Possartstraße 29: Umbau HNO-Klinik, Sanierung OP-Abteilung und Brandschutz, unbefristete Verlängerung der Baugenehmigung des Anbaus, Unterbauung des Anbaus mit einem Technik­raum“. Zudem soll entsprechend den Plänen eine Art Treppenturm an dem Anbau angebracht werden. Das Urteil der Lokalpolitiker war einstimmig eindeutig, fiel knallhart aus: Nein! Finkenzeller hatte übrigens die Fassade als „Verschandelung, als ein Aufreißer im Ensemble“ bezeichnet.

„Das Haus wird so bleiben wie es ist. Es wird aber verschönert“, hatte zuvor wie auch immer auslegbar der anwesende Gaertner-Klinik-Architekt erklärt. Und Kilian Gaertner – er hatte sich dem Kommunalparlament als „Geschäftsführer“ der Klinik vorgestellt, was er aber gemäß aktuellem Handelsregisterauszug seit April gar nicht mehr ist, vielmehr ist als Geschäftsführer Christina Plank vermerkt – hatte vor der Abstimmung offensichtlich angesichts der düsteren Mienen im Gremium das Kommende erkannt: „Wir wollen das Vorhaben im kleinen Kreis im Unterausschuss vorstellen. Wir haben Zeit.“

Brannekämper kritisiert bei der Bearbeitung des Bauantrags ein „Multiorganversagen der staatlichen und städtischen Dienststellen“ und hofft, dass die Petition „in sechs bis acht Wochen, wahrscheinlich also im Februar“, behandelt ist.