07. Mai 2017

So etwas hat es noch nicht in der Bogenhauser Kommunalpolitik gegeben: Eine Tagung des Unter­gremiums Verkehr im Bezirksausschuss mutierte zu einer Einwohnerversammlung mit mehr als 100 Besuchern. Der Anlass: Mit der Mitte Dezember eröffneten Tramlinie 25 vom Max-Weber-Platz zum S-Bahnhof Berg am Laim fungieren die Busse als Zubringer, das Busnetz wurde von der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) auf die Endhaltestelle der Straßenbahn und das Gewerbegebiet Stein­hausen ausgerichtet. Viele Bürger fühlen sich zu Recht vom Öffentlichen Nahverkehr regelrecht abgehängt, protestieren fast pausenlos dagegen heftig.

Konkret: Die Linienführungen der Busse 187, 190 und 191 wurden geändert, sie führen nicht mehr direkt zum Ostbahnhof. Vor sechs Monaten hatten der 190er die Messestadt Riem und der 191er den Zamilapark mit dem Max-Weber-Platz verbunden; jetzt geht’s zur Friedenstraße hinterm Ost­bahnhof, weil gemäß MVG „die Kapazitätsgrenze an der Westseite erreicht ist.“ Und der 187er vom Arabellapark kommend hat seine Endstation nun am Michaelibad, früher am U-Bahnhof Josephs­burg.

All das bewirkte massive Nachteile für die Bewohner vor allem aus Zamdorf, aber auch aus Dagl­fing, der Schwarzwaldsiedlung und der Parkstadt Bogenhausen: Die Fahrtzeit verdoppelte sich in der Regel, vereinzelt dauert sie sogar noch länger, mehrmaliges Umsteigen ist erforderlich, die schier endlosen Wartezeiten zwischen den Verbindungen Richtung Max-Weber-Platz nerven, die Koordination passt einfach nicht, die Busse sind oft überfüllt, die Menschen müssen weite(re) Weg gehen, Anzeigen über die Abfahrtszeiten von Bussen beziehungsweise Bahn fehlen.

Für die Klagen hatten und haben die Mitglieder des Bezirksausschusses volles Verständnis, sind doch einige von ihnen selbst betroffen. Die MVG hingegen verwies bislang darauf, dass bei Neueröffnung einer Straßenbahnlinie das Busnetz angepasst wird, dass in der Vergangenheit der Zamilapark und die Umgebung überdurchschnittlich gut versorgt gewesen seien und nun andere Haltestellen von den geänderten Linienführungen profitieren.

Das seit Mitte Dezember mit der Inbetriebnahme der Tram 25 Steinhausen geänderte MVG-Linien-netz stößt auf heftigen Widerstand fast aller Fahrgäste.   Karte: MVG
Das seit Mitte Dezember mit der Inbetriebnahme der Tram 25 Steinhausen geänderte MVG-Linien-netz stößt auf heftigen Widerstand fast aller Fahrgäste. Karte: MVG

Bei der Tagung des Unterausschusses Verkehr – souverän und ausgleichend moderiert vom Vorsitzenden Martin Tscheu (SPD) – bezogen Betroffene, Lokalpolitiker und MVG-Vertreter Position, stellten ihre jeweilige Sichtweise dar.

Geballter Frust – das kennzeichnete alle Beschwerden, Vorwürfe und Vorschläge, die teils laut­stark, teils sachlich und erklärend, teils zornig, teils emotional aufgebracht und teils flehend vorge­tragen wurden. Letztendlich hieß es drei gegen alle. Drei, das sind die MVG-Vertreter Brigitte Gem­mer (Leiterin Angebotsplanung), Bernd Fichtl (Busangebote) und Florian Bunse (Schienenverkehr).

Das Fazit der Diskussionen: Das MVG-Trio konnte nichts versprechen, es machte aber Hoffnun­gen. Zum ersten ein wenig kürzere Umsteigezeiten zwischen S-Bahn, Tram und Bussen an der Haltestelle Berg am Laim. Zweitens ein ampelgesteuerter sicherer Übergang zwischen Straßen­bahn und Bus.

Drittens zu prüfen, die Tram 25 künftig nicht mehr nach Grünwald abbiegen zu lassen, sondern – wie von vornherein auch von den Lokalpolitikern vehement gefordert – in die Innenstadt zu führen. „Dieser Plan hat Priorität, wir versuchen, das so schnell wie möglich umzusetzen“, versicherte Gemmer. Das würde den Fahrgästen einmal Umsteigen ersparen. Indes bräuchte die MVG laut Bunse dazu „zwei zusätzliche Fahrzeuge, die bei uns nicht auf dem Hof rumstehen. So etwas geht nicht von heute auf morgen.“

Planerin Gemmer ergänzte, die Tram solle später einmal das Siedlungsgebiet im Nordosten mit erschließen. Und Bunse sagte: „Die Tram 25 ist Teil ein größeren Plans.“ Näheres gab er nicht preis.

Zum „Kernpunkt, vor allem aus Sicherheitsgründen“, so ein  Zamdorfer, wieder wie früher eine Buslinie (191) zum Max-Weber-Platz zu führen, gab es lediglich Erklärungen seitens der MVG. Laut Gemmer „macht es keinen Sinn, einen Bus parallel zur Tram zu schicken. Bei einer Wieder­einführung müsse man die Wirtschaftlichkeit prüfen, denn das Angebot finanziere sich aus den Einnahmen durch die Fahrgäste. Bei allen Maßnahmen achten wir darauf, dass der Großteil der Fahrgäste besser wegkommt, dabei gibt es aber auch Personen, die nicht so gut wegkommen.“

Fichtl ergänzte: „Wir sind uns bewusst, dass sie eine schnelle Anbindung an die Innenstadt haben wollen. Dazu bräuchten wir zusätzlich zwei Busse, sechs Fahrer sowie Halteplatz am Max-Weber-Platz.“ Die Frage „Warum zusätzlich?“ vor dem Hintergrund einer geänderten, also alten Führung einer Buslinie und dem Hinweis, dass vor Jahresfrist der Bus ja dort gehalten hat, blieb unbeant­wortet.

Grundsätzlich erinnerte Lokalpolitikerin Christiane Hacker (SPD) die MVG-Truppe daran, dass einst bei der Vorstellung des Vorhabens Tram Steinhausen dem Bezirksausschuss zugesagt worden war, dass sich mit der Realisierung das Angebot im Öffentlichen Nahverkehr nichts verändert.

Im Kreuzfeuer der Bürgerkritik wegen der geänderten Führungen von drei Buslinien: die MVG-Ver¬treter Florian Bunse, Bernd Fichtl und Brigitte Gemmer, die Leiterin der Angebotsplanung. Foto: hgb
Im Kreuzfeuer der Bürgerkritik wegen der geänderten Führungen von drei Buslinien: die MVG-Ver¬treter Florian Bunse, Bernd Fichtl und Brigitte Gemmer, die Leiterin der Angebotsplanung. Foto: hgb

Eine Bürgerin hob hervor, dass „eingetreten ist was befürchtet wurde. Den 187er zum Michaelibad zu führen, das ist völlig unverständlich.“ Und: „Sonntags, wenn Eltern mit ihren Kindern zum Schwimmbad fahren wollen, fährt er nicht.“

Thorsten Bergmühl, Leiter der Mittelschule an der Stuntzstraße, klagte: „Der Wegfall des 190er ist eine Katastrophe. 35 Kinder aus dem Zamilapark bis zur Schwarzwaldstraße waren früher gut ver­sorgt, haben 15 Minuten zur Schule gebraucht. Jetzt müssen sie zwei Mal umsteigen, sind eine Dreiviertelstunde unterwegs.“ Beim Umstieg müssen die Jugendlichen überdies an der Eggenfel­dener Straße eine gefährliche Kreuzung überqueren. Dort soll demnächst ein Zebrastreifen angebracht werden.

Gemmer war verblüfft: „Das hören wir zum ersten Mal.“ Ganz offensichtlich sind diverse Beschwer­debriefe an die Stadt im Behördendickicht hängen geblieben, haben die MVG nicht erreicht. Auch Fichtl war verblüfft, als Kevin Golde erklärte, er habe ein „Alternativkonzept erarbeitet“ und dieses überreichte. Dazu passte ein weiteres Statement eines Anwohners: „Wir wollen wieder auf dem schnellste Weg zum Max-Weber-Platz kommen.“

Eine Frau, die sich als „Mutter drei halbwüchsiger Töchter, die auch mal abends in der Stadt sind“, vorstellte: „Früher war das so einfach. In Zamdorf war der Weg von der Bushaltestelle nach Hause kurz. Jetzt laufen sie von der Friedrich-Eckart-Straße die Strecke. Das ist ein Sicherheitsrisiko für die Mädchen.“ Bezüglich der Sicherheit wurde vielfach geklagt: Abends und nachts sind die Wege, beispielsweise der Tunnel am Ostbahnhof, „eine Zumutung“. Und: „Bei Staus läuft man besser zu Fuß, der Bus ist nicht schneller.“

Aus kommunalpolitischer Warte zeigte sich Tscheu „irritiert über die stereotypen Antworten“ der MVG auf Anträge und Anfragen, die da lauteten: „Das ist halt so, damit muss man sich abfinden. Hoffentlich kommt der Stein jetzt ins Rollen.“

Kilian Mentner, Mitglied des CSU-Fraktion im Bezirksausschuss und der Nachbarschaftsinitiative Zamdorf, war außer sich: „So einen Bürgeraufstand habe ich noch nie erlebt. So etwas hatten wir noch nicht in Bogenhausen. Ich bin schockiert. Sie von der MVG bügeln alles nieder. Was muss eigentlich noch passieren, dass etwas verbessert wird. Sie nehmen uns wohl nicht ernst. Wenn die MVG nichts ändert, dann blockieren wir die Eggenfeldener Straße.“ Tscheu kritisierte Letzteres erregt als „Bürgeraufhetzung“. Jurist Mentner dazu: „Keine Sorge, wir zeigen die Demo bei der Stadt an.

Und weiter: „Es muss doch möglich sein, dass die MVG zumindest als Zwischenlösung eine Buslinie zum Max-Weber-Platz führt.“ Diese Aussage ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass im MVG-Leistungsprogramm 2018 die Zamdorfer Problematik „mit keinem Wort erwähnt wird. Das ist eine Frechheit!“

Welche Wirkungen die geänderten Linienführungen seit Inbetriebnahme der Tram Steinhausen für vielen Senioren zeitigten, belegen Aussagen wie: „Wir alten Leute sind eingesperrt, wir kommen nicht mehr zum Arzt“ oder „Umsteigen fällt mir wahnsinnig schwer, ich gehe nicht mehr ins Theater, weil ich nachts allein an der Haltestelle dastehe, ich bezahle 450 Euro für meine Jahreskarte, dafür erwarte ich ein bisschen Service“ oder „Wir Anwesenden sind nur ein Bruchteil der Betroffenen, viele Ältere und Mütter mit Kindern konnten nicht hier zur Tagung in der Englschalkinger Straße kommen“ und an die MVG-Vertreter gewandt „Könnten sie wenigstens Anzeigetafeln mit den Abfahrtszeiten der S-Bahn und der Busse anbringen, damit man sich zeitlich einrichten kann. Das würde für ein wenig Entspannung sorgen.“

Zu allem versicherte Gemmer: „Es ist nicht so, dass wir sie nicht ernst nehmen. Alle Vorschläge werden wir intern prüfen.“ Auf die Antworten und Zeitpunkt, wann diese erfolgen, darf man gespannt sein, warten tausende Bürger.

Dass bald reagiert wird, darauf deutet hin, dass inzwischen Bürgermeister Josef Schmid (CSU), zugleich Leiter des Referats für Arbeit und Wirtschaft und damit oberster Chef der Stadtwerke München (SWM) / MVG sich schriftlich eingeschaltet hat und den neuen MVG-Geschäftsführer Ingo Wortmann gebeten hat, „den nachvollziehbaren Beschwerden Rechnung zu tragen und eine Rückverlegung zumindest des Busses 191 zu prüfen.“ Schmid bittet „dieses Thema vordinglich zu behandeln“.