28. April 2017

Robert Brannekämper, stellvertretender Vorsitzender des Bezirksausschusses und CSU-Landtagsabgeordneter, checkte absatzweise ein Schreiben des Planungsreferats. „Was steht denn da drin zur verkehrlichen Erschließung, zu den Belas­tungen? 1850 Fahrzeuge pro 24 Stunden – durch Amazon. Jetzt ist die Katze aus dem Sack“, kommentierte er. Was lange Zeit vermutet wurde, worauf vieles hingedeutet hatte, ist nunmehr Fakt. Der Versand­händler eröffnet ein Logistikzentrum im neuen Gewerbegebiet Am Hüllgraben in Daglfing.

Die Mitteilung der Behörde beinhaltete eine Anhörung, eine Tektur, also die Korrektur eines bereits genehmigten Bauplans. „Neubau einer Logistikhalle inkl. Kühlbereich mit Büro und Sozialbereichen sowie Parkdecks, Errichtung eines Pumpen-/Pförtnerhauses, einer Schallschutzwand sowie von VAN- und Pkw-Stellplätzen inkl. Verkehrsflächen“ – so lautete wortwörtlich die Vorlage im Kommunalparla­ment.

Zur Anhörung beschlossen die Lokalpolitiker einstimmig: „Der Bezirksausschuss fordert die Stadt auf, das Verkehrsgutachten, das im Rahmen des Tekturverfahrens vorliegt, dem Unterausschuss Planung vorzustellen und zu erläutern.“ Zuvor hatte CSU-Fraktionssprecher Xaver Finkenzeller zusammengefasst, was Bürger und Stadtteilvertreter befürchten, nämlich einen Verkehrskollaps, nachdem ein Projekt sich an das nächste reiht. Als da wären Gewerbebetriebe, Baumarkt, Blumenhof, Veranstaltungen in den Eisbachstudios, Flohmärkte, Konzerte, Reitwettbewerbe und künftig Fahrten vom und zum künftigen Stadtteil im Nordosten jenseits der S-Bahnlinie zum Flughafen.

Das graue Amazon-Logistikzentrum mit gelben Streifen an den Hallendachrändern und elf Laderampen an der Grasbrunner Straße im Gewerbegebiet Am Hüllgraben in Daglfing mit. Wann der Auslieferungsbetrieb startet, ist derzeit noch offen.
Das graue Amazon-Logistikzentrum mit gelben Streifen an den Hallendachrändern und elf Laderampen an der Grasbrunner Straße im Gewerbegebiet Am Hüllgraben in Daglfing mit. Wann der Auslieferungsbetrieb startet, ist derzeit noch offen.

Die Amazon-Vorgeschichte: Im Herbst 2015 hatte ein Vertreter des Gewerbeimmobilien-Entwicklers Segro Deutschland das Vorhaben im Bezirksausschuss vorgestellt. Auf dem etwa 1,8 Hektar großen Grundstück wolle man eine Halle mit rund 7000 Quadratmetern Grundfläche samt Parkhaus mit circa 100 Stellplätzen bauen.

Das Areal sei mit der A94 verkehrlich bestens angebunden für einen Lieferservice, liege ideal zentrumsnah. Dazu muss man wissen: Segro baut auf Nutzer zuge­schnittene Gewerbegebäude und vermietet diese dann. Geplant sei ein Verteilungszentrum für Güter des täglichen Bedarfs. Name und Details gab der Vertreter damals trotz Nachfrage nicht an.

Jetzt ist die eingezäunte, zweigeschossige Halle an der Grasbrunner Straße fast fertig. Die graue Fassade mit gelbem Streifen deutet klar auf den Internet-Großhändler. Laut Lokalpolitikern soll die Anlage in Daglfing von dem Konzern nicht nur für die Express-Zustellung „Prime“ genutzt werden, sondern auch für den Lieferdienst „Amazon Fresh“. Ein Service, der Lebensmittel wohl von Salat, Gemüse bis hin zu Fleisch direkt zu den Münchner Kunden fährt. Die „Logistikhalle inkl. Kühlbe­reich“ spricht für „Fresh“. Wann, mit welchem Sortiment und zu welchen Konditionen der Dienst startet, ist noch unklar.

Kritik an dem neuen Auslieferungslager kommt auch von „B.I.L.D., der Bürgerinitiative Lebenswer­tes Daglfing“. Nach Ansicht des Vorsitzenden Sebastian Riesch entspricht das Projekt nicht dem geltenden Bebauungsplan. In einem Brief an Oberbürgermeister Dieter Reiter stellt Riesch acht Fra­gen, bezweifelt die Genehmigungsfähigkeit des Logistikzentrums. „Zielgruppen für das Baugebiet sind mittelständische Firmen des klassisch produzierenden bzw. verarbeitenden Gewerbes, Hand­werksbetriebe, Bauhaupt- bzw. Baunebengewerbe“, heißt es in dem Brief. Und: „Wurde eine Befrei­ung vom Bebauungsplan für die Genehmigung der Errichtung einer zweistöckigen Lagerhalle erteilt?“ Denn der Bebauungsplan lasse das nicht zu.

Klein, unübersehbar und eindeutig: Hinweisschild Amazon an der von Sicherheitsleuten bewachten Einfahrt am Logistikzentrum des Internet-Großhändlers im Gewerbegebiet Am Hüllgraben.         Foto: hgb
Klein, unübersehbar und eindeutig: Hinweisschild Amazon an der von Sicherheitsleuten bewachten Einfahrt am Logistikzentrum des Internet-Großhändlers im Gewerbegebiet Am Hüllgraben. Foto: hgb

Das Gewerbegebiet Am Hüllgraben ist in Bogenhausen ein ungewolltes und ungeliebtes Kind. Be­reits Ende 2014 hatte Brannekämper im Plenum erklärt: „Dort hätte man eigentlich kein Industrie­gebiet ausweisen dürfen.“

Vorsitzende Angelika Pilz-Strasser hatte sich zusammen mit allen Mit­gliedern des Bezirksausschusses heftig gegen einen Eingriff in das ökologisch wertvolle Gebiet ge­wehrt, hatte beklagt, dass auf Biotopflächen mitten in einer Frischluftschneise Gewerbeunterneh­men angesiedelt werden sollen, hatte das „intransparente Genehmigungsverfahren“ kritisiert.

Doch der Stadtrat hatte beschlossen, das rund 150 000 Quadratmeter große Areal südlich der Passauer Autobahn zwischen der S-Bahnstrecke nach Daglfing und der Bahnlinie nach Rosenheim zu bebauen. Betriebe aus Pasing sollten dorthin verlagert werden, weil das einstige Gewerbegebiet an der Paul-Gerhardt-Allee in ein Wohnquartier für mehr als 4000 Menschen umgewandelt wurde. Indes zeigten die Pasinger Firmen wenig Interesse, vom Westen in den äußersten Osten zu ziehen. Ein Bebauungsplan wurde aufgestellt, ein Investor, die Aurelis Real Estate, baute für mehr als drei Millionen Euro ein Erschließungsstraße, die Daglfinger Autobahnausfahrten wurden mit großem Saufwand umgebaut, damit Fahrzeuge den Hüllgraben problemlos erreichen können. Das Ganze erweist sich bis dato als Flop – es besteht kaum Nachfrage für Grundstücke. Kurzum: Platz für (fast) nichts!