16. November 2018

„Soll die Stadt doch auf ihren 150 Hektar bauen was sie will und uns endlich in Ruhe leben lassen“, schimpfte zornig ein Mann im Bezirksausschuss bei der Erörterung des Entwurfs zum „Münchner Nordosten – Eckdatenbeschluss – Anhörung des Referats für Stadtplanung“. Erneut, wie bei der Vorberatung im Untergremium Planung, gab’s einen regelrechten Ansturm der Bürger, vornehmlich Bewohner und Grundstücksbesitzer jenseits der S-Bahn zum Flughafen, die um ihren Lebensraum und um ihre Existenz als Landwirte bangen.

Der Druck gegen die Planungen, auch von Seiten der Lokalpolitiker, für das zwischen Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen gelegene Gelände wächst! Viele Bürger stemmen sich vehement gegen jegliche Bebauung, andere wären mit Teilbebauungen einverstanden.

Worum geht’s eigentlich? Die Stadt will auf dem etwa 600 Hektar großen Gelände Wohnraum und Arbeitsplätze schaffen. Noch Anfang der neunziger Jahren ist der seinerzeitige Stadtbaurat Uli Zech (SPD; im Amt von 1972 bis 1990) von maximal 10 000 Bewohnern und 2000 Arbeitsplätzen ausge­gangen. Zuletzt wurden offiziell 30 000 Bewohner in 12 500 Wohnungen und 10 000 Arbeitsplätze genannt. Allein letztere Zahlen bezeichnete Robert Brannekämper, Vize-Vorsitzender des Kommu­nalparlaments und CSU-Landtagsabgeordneter, als „absoluten Wahnsinn“.

Grundlage für eine wie auch immer geartete Bebauung ist die Verlegung der S8 in einen Tunnel (mit vier Gleisen plus einer extra Schienenspur für den Güterverkehr). So vom Stadtrat 2008 be­schlossen und inzwischen zwei Mal bestätigt! 2014 wurde für die Tieferlegung mit 980 Millionen Euro kalkuliert, heute sind es bereits 2,6 Milliarden Euro, und 2038, wenn alles fertig sein soll, „dürften’s wohl sieben Milliarden Euro sein“, so hatte es ein Anwohner berechnet. Dazu Lena Sterzer vom Planungsreferat: „Der Tunnel ist eine Bundesmaßnahme. Wir gehen fest davon aus, dass der Tunnel kommt.“

Feld, Wald, Wiesen – kaum vorstellbar, dass die Flächen zwischen Daglfing und Johanneskirchen einmal zubetoniert und asphaltiert sind. Abbild.: Initiative Heimatboden / Foto: hgb

2011 hatten sich die Politiker im Rathaus zu einer Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme, einer SEM, als Planungsinstrument entschlossen.

Die Untersuchungen dazu laufen seit fünf Jahren. Drei entwickelte Bebauungsmodelle haben Bürger und Lokalpolitiker strikt abgelehnt, vergangenes Jahr wurde von Stadtbaurätin Elisabeth Merk ein städtebaulicher Architektenwettbewerb initiiert. Grund­lagen und Vorgaben dafür sind nun im besagten Entwurf Eckdatenbeschluss formuliert.

Aus dem zitierten „absoluten Wahnsinn“ könnte >Irrsinn< werden. Hartnäckig halten sich nämlich Spekulationen einer Verdichtung auf bis zu 80 000 Menschen. Das unter der Annahme, dass die im Arabellapark endende U4 verlängert wird über Englschalking hinaus bis zur (Endstation) Messe­stadt West und dass für die Finanzierung einer solchen U-Bahnlinie Wirtschaftlichkeitszahlen der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) zu Grunde gelegt werden.

Stimmt der Stadtrat dem Eckdatenbeschluss zu, sind (auch) für die SEM-Einleitung Türen und Tore geöffnet. Bei einer SEM würden die Grundstückspreise eingefroren. Und: Wer sich nicht verkaufs­willlig zeigt, wer nicht kooperativ ist, der kann enteignet werden. Anwohner bezeichnen das als „Damoklesschwert“. Das wird am Marienplatz und von Oberbürgermeister Dieter Reiter zwar de­mentiert. Gleichwohl, so Brannekämper, „liegt bis dato nicht einmal eine Tunnelstudie vor. Warum kümmert sich die Stadt, der Oberbürgermeister nicht darum?“

Grundsätzlich muss man wissen: Der städtische Anteil am 600-Hektar-Areal beträgt circa 25 Pro­zent, also rund 150 Hektar. Etwa 400 Hektar in verschiedenen Grundstücksgrößen besitzen laut Stadt rund 500 Personen, werden landwirtschaftlich und durch Gärtnereien genutzt. Eingegliedert sind laut Planungsreferat auch Grün- und Erholungsflächen. Und, so steht’s in der Vorlage: „Darü­ber hinaus gibt es großflächige Pferde(sport)flächen. Diese umfassen rund 150 Hektar, wovon voraussichtlich 50 bis 60 Prozent für eine städtebauliche und landschaftsplanerische Entwicklung durch Nutzungskonzentrationen, Verlagerungen oder Aufgabe der bisherigen Nutzungen frei werden.“

Rechenfehler im Amt? 150 Hektar Stadt plus 400 Hektar Privatbesitz plus mindestens 75 Hektar Pferdesportflächen (50 Prozent von 150 Hektar) ergibt 625 Hektar. Also wenigstens etwa 25 Hektar „über Plan“ – kaum kleiner als der Prinz-Eugen-Park mit 1800 Wohnungen für 4000 bis 4500 Menschen. Großzügiger Umgang mit Circa-Angaben …

Das rund 600 Hektar große Planungsgebiet im Nordosten jenseits der S8 zwischen Riem, Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen (gelb umrandet) und die großen Grundstücke der Stadt, etwa 150 Hektar groß (rote Flächen). Karte: Planungsreferat / Grafische Bearbeitung: hgb

Fast kurios: Wo die Parzellen der 150 städtischen Hektar verstreut sind, ist offensichtlich Behörden­geheimnis. Daher forderte der Bezirksausschuss auf Initiative von Nicola Holtmann (ÖDP) die Stadt „erneut auf, grafisch darzustellen, wie die Grundstücksverteilung im Planungsgebiet zwischen städtischen, staatlichen und privaten Eigentümern ist.“

Auf unsere entsprechende Anfrage von Ende Oktober an die Pressestelle der Planungsbehörde gab’s keine Antwort vor.

Deshalb hat unser-bogenhausen.de auf Grundlage von Angaben durch Ortsansässige auf einer Karte den wesentlichen Stadtbesitz, ohne kleinere Grundstücke, zusammengestellt und markiert (siehe Bild).

Mehr als drei Stunden setzten sich nun die Mitglieder des Bezirksausschusses mit dem Entwurf des Eckdatenbeschlusses auseinander, zuweilen ging’s vor dem Hintergrund teils sich überschneiden­der Anträge, Änderungswünsche und Ergänzungen von vier Parteien ungeordnet, ja konfus zu.

Brannekämper zerfetzte den vorgelegten Entwurf – „wird er im Rathaus verabschiedet, ist das ein Startschuss“ – und das Referat regelrecht:

„So kann man nicht arbeiten, so kann man nicht die Heimat unserer Menschen überplanen, das ist Planen wie im Mittelalter. Das Referat plant gegen die Menschen, nicht mit den Menschen. Die Erwartungen in den Entwurf wurden leider nicht erfüllt, keine einzige Frage wurde sauber und konkret beantwortet. Der Oberbürgermeister – er bekommt einen Brief von mir – soll persönlich in den Nordosten kommen, sich den Fragen der Bürger und der Mitglieder des Bezirksausschusses stellen, Rechenschaft zu dieser Trümmerplanung ablegen.“

Mit 24 gegen sieben Stimmen der SPD verabschiedete das Kommunalparlament den Knackpunkt, eingebracht von der CSU-Fraktion als Antrag: „Die Stadt wird aufgefordert, sämtliche weiteren Eck­datenbeschlüsse zur Entwicklung im Nordosten einzustellen bis abschließend die Frage und die Finanzierung der Tieferlegung der S-Bahntrasse geklärt ist.“ Weil eben seit sieben Jahren ist dies­bezüglich nichts geklärt ist! Und, so laut Initiative: „Sollte es zu einer Tieferlegung der S-Bahn nicht kom­men, wird eine weitaus geringere Bebauung, wenn überhaupt, möglich sein. Es ist daher schlichtweg eine Verschwendung von Steuergeldern, nun umfassende Planungen zu initiieren.“ CSU-Sprecher Xaver Finkenzeller erklärte: „Dann sind dort draußen vielleicht 300 Leute denkbar.“

Andrang im Bezirksausschuss: Den Entwurf zum Eckdatenbeschluss für die von der Stadt beabsichtigte Bebauung im Nordosten auf einem 600 Hektar großen Areal jenseits der S-Bahn zum Flughafen lehnen Bewohner und Grundstücksbesitzer bei der Tagung eindeutig ab. Sie fürchten um ihren Lebensraum, viele Landwirte um ihre Existenz. Foto: hgb

Einig waren sich alle Vertreter Bogenhausens, dass eine Siedlung die Einwohnerzahl 25 000 nicht überschreiten darf, dass die Architekten Baumöglichkeiten für 10 000, 15 000 und 20 000 Men­schen und maximal 2000 Arbeitsplätze für die örtliche Nahversorgung darstellen sollen. „Die Schaffung von noch mehr Arbeitsplätzen würde „erneut einen erheblichen Zugzug hervorrufen“, so sieht’s es die CSU in ihrem Papier.

Zum städtischen Vorschlag, die U4 bis zur Messestadt West „als maßgebliche Grundlage für die leistungsfähige Erschließung“ zu verlängern, brachte die SPD-Fraktion eine Ergänzungswunsch ein: „Das Planfeststellungsverfahren wird so schnell wie möglich eingeleitet, die vorbereitenden Planungen dazu werden sofort begonnen.“ Das lehnten die CSUler ab; sie plädieren für eine Verlängerung bis zum S-Bahnhof Englschalking.

Mit den Stimmen von CSU, FDP und einem Grünen wurde ebenfalls die SPD-Idee abgelehnt, eine Verlängerung der Straßenbahn von der Cosima- über die Johanneskirchner Straße ins SEM-Gebiet zu prüfen. Auch der ÖDP-Vorstoß einer Seilbahn – Vorsitzende Angelika Pilz-Strasser: „Eine Seilbahn macht für dieses Gebiet keinen Sinn, ist kein Lösungsansatz“ – wurde abgeschmettert.

Das abschließende Urteil kam von einer Bürgerin: „Wir werden eine SEM verhindern!“