Vor 16 (!) Jahren, anno 2008, hatte der Stadtrat mit einem Vorbereitungsbeschluss die Basis für ein Chaos beschlossen, das bis heute immer wieder Bürger und Politiker bewegt und verärgert, das wohl noch viele Jahre, ja Jahrzehnte andauern dürfte. Quasi eine never ending story: Die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Nordosten, auf dem 600 Hektar großen Areal – einschließlich der Pferdesportanlagen; überwiegend landwirtschaftlich genutztes Areal – jenseits der Bahntrasse entlang von Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen.
Jetzt präsentierte das Planungsreferat Ideen, wie es sich das (die) Quartier (e) vorstellt. Haken an der „Gschicht“: Der Stadt gehören, nachgefragter Stand heute wie auch Stand 2019, nur rund 150 Hektar. Kommentar: überflüssig!
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Angedacht war einst Wohnraum für 10 000 Menschen und 2000 Arbeitsplätze (Ex-Stadtbaurat Uli Zech, SPD). Inzwischen gehen die „Fachleute“ in acht Teilstücken (zuvor war stets die Rede von einer „Planung aus einem Guss“) von 30 000 Menschen (rund 10 600 Wohneinheiten) und 10 000 Arbeitsplätzen aus.
Neueste städtische Online-Angabe: „Je nach Nutzungsdichte können bis zu 11 500 Wohnungen entstehen und so den angespannten Wohnungsmarkt entlasten.“ Wenn’s denn bei diesen Zahlen bleibt!
Denn im gesamten Gebiet soll es – basierend auf dem Siegerentwurf des Architektenwettbewerbs –in den acht Siedlungsarealen jeweils 2000 bis 2500 Wohneinheiten geben. Ausgehend vom Mittelwert 2250 Wohnungen mal acht Areale mal durchschnittlich 2,2 Personen pro Haushalt (Statistikwert 2022) ergibt das unglaubliche 39 600 Personen. Fast 40 000! Tolle Vorstellung.
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Geändert hat sich inzwischen auch die Bezeichnung für das Mammutprojekt. „Münchner Nordosten – Vorstellung Konzept Kommunikation und Beteiligung durch das Planungsreferat“ stand Mitte Februar auf der Tagesordnung des Bezirksausschusses. SEM? Bis auf eine Ausnahme: Fehlanzeige. Michael Bacherl, Architekt im Planungsreferat, bezeichnete alles auf einmal, erstmals, als MNO, als Münchner NordOsten? Was wird da verschleiert?
Gleichwohl steht auf dem Programm der von der Stadt beauftragten Agentur „Urban Things PR – Motto: „Zielrichtung der Kommunikation • Menschen hinter einer Vision vereinen und versöhnen“ – in „Q3 – Q4 / 2024: Abschluss Namensfindung, Start Logo-Design“. Nun denn!
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Von den 600 Hektar sind 450 Hektar in Privatbesitz (350 Flurstücke, 525 Eigentümer), der Stadt und dem Freistaat Bayern gehören rund 150 Hektar (250 Flurstücke). In etwa die Hälfte der Fläche soll Baugrund werden – inklusive Badesee, Infrastruktur sowie U- und Straßenbahn. Rund 300 Hektar sollen weiterhin für Landwirtschaft, als ökologische Ausgleichsfläche und für den Pferdesport (wie jetzt circa 60 Hektar) zur Verfügung stehen.
„Es ist ein Projekt für die 2030er Jahre“ ist auf der Internetseite „Münchner Nordosten“ zu lesen. Aha – der Begriff SEM ist auch an dieser Stelle kaum mehr zu finden. Und zu „Grundstücke“ steht da: „Ein Großteil der Grundstücksflächenbefindet sich im Besitz der Landeshauptstadt München. In Gesprächen mit den privaten Grundstückseigentümern im Nordosten lotet die Stadt aus, wie einegute Kooperation im beiderseitigen Interesse aussehen kann. Nicht alle Flächen werden für das neue Stadtviertel benötigt. Es ist erklärter Wille der Stadt, dass auch künftig Flächen für die Landwirtschaftundfür den Pferdesport zur Verfügung stehen. Parallel werden mögliche Vertragsmodelle ausgearbeitet. Eigentümer*innen können sich bei einer Ombudsstelle beraten lassen. Die Aufgabe dieser Ombudsstelle hat die Münchner Kanzlei Tandler & Partner übernommen.“
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Per Antrag forderte jetzt die CSU- / FW-Fraktion im Rathaus: „Die Stadt beendet mit sofortiger Wirkung alle Planungen, Beteiligungen und Vergaben zu den beiden Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen (SEM) im Norden sowie im Nordosten. Die Entwicklung der jeweiligen Gebiete wird stattdessen mit kleineren örtlichen Bebauungsplänen, unter Einbeziehung der Grundbesitzer und aller Betroffenen vor Ort, schneller und effektiver vorangetrieben. Analog den Regelungen der Sozialgerechten Bodennutzung 2017 (SoBoN) sollen 40 Prozent der zu Wohnungen preisgedämpft errichtet werden. Dabei muss sichergestellt sein, dass die notwendige verkehrliche, schulische, und soziale Infrastruktur zur Fertigstellung der Wohnbebauung entsprechend entwickelt ist.“
In der Begründung wird ausgeführt: „Die SEM Nordost mäandert nunmehr seit 16 Jahren durch den Stadtrat und die Verwaltung. Vor Mitte der 2030er-Jahre dürfte damit selbst im besten Fall kein Gebäude gebaut sein. Angesichts der drückenden Wohnungsnot müssen auf eigenen Flächen endlich freifinanzierte und preisgedämpfte Wohnungen gebaut werden. Die Bebauung darf nicht durch Endlos-Planungen auf den Sankt-Nimmerleinstag aufgeschoben werden.“
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CSU-Fraktions-Chef Manuel Pretzl kommentiert: „„Die bunten Bilder des Planungsreferats sind eine Illusion. Die Realität sieht anders aus: Der Stadt fehlt der nötige Grund, ihr fehlt ein Verkehrskonzept und ihr fehlt die Bereitschaft der Menschen vor Ort, bei dem Projekt mitzumachen. Ihnen jetzt zur Besänftigung eine Ombudsstelle und ein Pop-up-Fahrradkino anzukündigen, grenzt an Realsatire. Die Verwaltung behauptet, sie könne Anfang 2025 die Grundstücke kaufen. Das ist utopisch. Wir möchten deshalb einen anderen Weg einschlagen, der die Interessen aller Betroffenen beachtet: Wohnungsbau in kleinerem Stil, aber schnell. Wenn wir die SEM jetzt beenden und Bebauungspläne aufstellen, bei denen die Eigentümer kooperieren, könnten noch in diesem Jahrzehnt geschätzte 5000 Wohnungen in den beiden Gebieten gebaut werden.“
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Zur Informationsveranstaltung „Zukunftsquartier Nordosten“ des Planungsreferats in der Ruth-Drexel-Schule im Prinz-Eugen-Park. Rund 100 Bürgerinnen und Bürger – auf Nachfrage der Moderatorin äußerten circa 20 „Aufbruchstimmung“, etwa 80 eher „Bedenken“ zum geplanten Mega-Viertel – waren gekommen, die Stadt war mit etwa zwei Dutzend Personen vertreten. Aus den Statements unter dem Gesichtspunkt „Wie plant man heute Stadtviertel für morgen?“:
Stadtbaurätin Elisabeth Merk: „Alles ist ein Zwischenstand. Viele Bilder und Visualisierungen sind bedingt durch den Maßstab Visionen. Wichtig sind die Verknüpfungskorridore zwischen Bestand und Vorhaben. Die Stadt und der Freistaat besitzen etwa 150 Hektar (Anm. d. Red.: es wurden also in den vergangenen fünf Jahren nur wenige oder gar keine Grundstücke dazu gekauft). Wir wissen heute noch gar nicht, ob wir 150 oder 200 Hektar bebauen. Maximal sind’s 300 Hektar. Da alles ist offen. Wir wollen auf keinen Fall 600 Hektar zubetonieren. Es geht darum, etwas Vernünftiges zu machen unter dem Aspekt >alles hat seine Grenzen<. Das wird sicherlich noch Zeit brauchen.
Mobilitätsreferent Georg Dunkel: „Ziel des >Fahrplans 2035< sind autoarme Quartiere, Quartiere der kurzen Wege wie den Prinz-Eugen-Park, ein Verkehrssystem für alle, für Fußgänger, Rad- und Autofahrer, für die Nutzer von Bus, Straßen- und U-Bahn. Es geht dabei nicht um das >Ob<, sondern um das >Wie<. Mobilität muss heute viele Bedürfnisse abdecken, Straßen sind auch Aufenthaltsräume. In puncto Verkehrssicherheit muss die Zahl der Toten und Verletzten deutlich reduziert werden durch Maßnahmen wie beispielsweise Querungen und verbesserte Sichtverhältnisse.“
Bezirksausschuss-Vorsitzender Florian Ring: „Das Zusammenwachsen von alt und neu verlangt Vertrauen und Ehrlichkeit. Das Instrument Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme SEM ist völlig misslungen, hat ein vergiftetes Klima geschaffen, denn über allem schwebt das Damoklesschwert Enteignung. Es gibt andere Planungsinstrumente, man muss nicht den Hammer ansetzen. Es geht nicht an, Angst zu erzeugen. Es stellen sich viele Fragen, beispielsweise wie schließe ich die Umgebung an mit der Schulversorgung. Und die Bahnproblematik. Wer bezahlt den Tunnel für die Bahntrasse? Und was passiert, wenn der Tunnel nicht kommt? Passiert dann 60 Jahre nichts? Wie soll das dann alles funktionieren mit einer >Mauer< durch Bogenhausen? Das alles macht die Planungen unglaubwürdig (Anm. d. Red.: prasselnder Applaus der Besucher).“
Dazu Merk: „Kommt der Tunnel nicht, müssen wir umdenken. Das wäre auch hart für die Bestandsquartiere.“ Mit anderen Worten: Die Pläne in die Tonne, wie bei Monopoly >Zurück auf Los<.