02. Januar 2021
Stangerl mit Taille: Zehn Jahre Mae West
In wenigen Tagen vor zehn Jahren, genau am Sonntag, 30. Januar 2011, Punkt 22.09 Uhr, war’s geschafft: Mae West, die Großskulptur am Effnerplatz, war verschraubt!
Die gewagte Monumentalplastik – entworfen von Rita McBride aus Des Moines im US-Staat Iowa, die in Düsseldorf lebt und als Professorin lehrt, kaum ein Wort Deutsch spricht – präsentiert sich seither rank und schlank dem Betrachter. Ein Wahrzeichen für Bogenhausen, ein Aushängeschild für München, mit 52 Metern das höchste Kunstwerk Deutschlands, 1,54 Millionen Euro teuer, finanziert aus dem städtischen Programm Kunst am Bau, wobei knapp 0,5 Prozent der 320 Millionen Euro Baukosten für die Ring-Tunnelbauten in das Kunstbudget investiert wurden.

Die Namensgeber des Platzes, die Baumeister Joseph und Gartengestalter Carl von Effner, hätten sicherlich wohl nie vorstellen können, dass auf „ihrem“ Platz einmal eine taillierte Riesendame steht. Benannt nach der kurvenreichen US-Schauspiel-Ikone, einem Sexsymbol der Dreißiger Jahre, legendär für ihre langen Beine, ihre schlanke Taille, ihre Erotik, aber auch ihr für loses Mundwerk. Broadway-Star Mary Jane „Mae“ West hat letzteres wohl von ihrer Mutter geerbt: Matilda Dölger, gebürtig im Freistaat.

Die Maße der Dame, dem „Stangerl mit Taille“, so ein Monteur, können sich sehen lassen: Höhe 52, „Schuhgröße“ 32, Taille 7,5 und Oberweite knapp 20 Meter. Zahlen zum Vergleich: Der HypoVereinsbank-Tower ist 114 Meter hoch, das Westin Grand Hotel 75 Meter.
Das korsettartige Oberteil der Diva besteht aus 32 gekreuzten pechschwarzen Karbonrohren – jedes Stangerl ist knapp 40 Meter lang und hat beginnend am Mittelsockel exakt 27,5 Zentimeter Durchmesser, der zur Spitze hin um fünf Zentimeter schrumpft. 128 Schrauben halten die beiden Teile zusammen. Knapp 150 Tonnen wiegt die Skulptur, die auf einer nur 1,5 Meter dicken Decke steht – darunter rauscht der Verkehr durch den Effnertunnel.

Bissig-ironische Bezeichnungen für das gewagte Stabwerk gibt es zuhauf: Strickliesl, Schirmständer, Eierbecher, Drahtverhau, Mikadohaufen, Badehocker, Kraftwerk-Kühlturm, Bienenstock, Papierkorb, Kurvenstar, Sex-Göttin, Taubennest, Wäschekorb, Netzstrumpf, Busenwunder, AKW Ost oder auch kopflose Wespe.
Oberbürgermeister Christian Ude, der Anfang April 2004 im Stadtrat bei der Abstimmung gegen das Kunstwerk votiert hatte, meinte seinerzeit spitzzüngig, dass es solche „Skulpturen auch im Baumarkt als Blumenständer gibt.“ Er räumte aber ein, dass der zweite, von 60 auf 52 Meter Höhe reduzierte Entwurf von Rita McBride „viel filigraner und eleganter“ geworden ist.
Das Werk inspirierte und inspiriert zu Kommentaren: „Diese Skulptur steht im Weg“ oder „welche Funktion hat das denn, ist das ein Förderturm, wird hier nach Erdöl gebohrt?“ Oder: „Wir sind doch hier in Bogenhausen, im Osten Münchens, dann müsste das Ding doch Mae East heißen!“

Was lief vor fast zehn Jahren ab? – Eine Revue im Zeitraffer: Sonntag, 30. Januar, 00.10 Uhr: Mehr als 400 Interessierte versammeln sich rund um den aus Sicherheitsgründen weitläufig abgesperrten Effnerplatz, um das Spektakel live zu verfolgen, harren stundenlang aus, ohne dass sich etwas Sehenswertes tut. Ab und an geht die Beleuchtung aus. Der Korb eines Hubwagens steht minutenlang am Kranz des Oberkörpers. „Ist da was defekt?“, fragt laut ein junger Mann. Eine Antwort gab’s nicht. Später erzählt ein Techniker, dass er tags zuvor eine Dreiviertelstunde „oben im Korb eingesperrt war“. Die Hydraulik des Hubwagens hatte wohl versagt. „Da oben“, erzählt der Arbeiter, „da oben, glauben Sie’s mir, ist’s wirklich eisig kalt“.
Sonntag, 04.28 Uhr: Die zwei oberen von vier Montageplattformen werden im Zeitlupentempo auf dem Brustkorb des Oberteils gehievt. Dieser Vorgang hatte sich um etwa zwei Stunden verzögert: Die Schrauben der vor drei Monaten installierten Arbeitsfläche waren eingerostet, niemand hatte daran gedacht, geschweige denn diesbezüglich etwas zu überprüfen …

05.58 Uhr: 14 Grad minus, es ist neblig-feucht. Die Arbeiter sind total erschöpft, ihre Handschuhe „kleben“ an Werkzeug, Stangen und Seilen. Der 600 Tonnen schwere Spezialkran schwenkt ab. Nichts geht mehr. Nach kurzer Beratung und Check mit dem Kreisverwaltungsreferat (KVR) sowie der Polizei die Entscheidung: Abbruch der Arbeiten.
Sonntag, 20.31 Uhr: Zwei Stunden dauert der Neustart. Dann: Ein raunendes Aaaahhh von erneut mehreren hundert Beobachtern bei klirrender Kälte, Blitzlichtgewitter am Rondell: Der Oberkörper wird flott in die Höhe gezogen, schwebt ganz langsam Richtung Unterbau.

22.09 Uhr: Metall reibt auf Metall, die Zapfen in des Oberkörpers gleiten quietschend in die Fugen des Unterkörpers. Die 74 Tonnen schwere, 37 Meter hohe Oberweite passt millimetergenau auf den 15 Meter hohen Unterkörper, wird fortan verschraubt, sicher verankert. Jubelschreie – die Mae West ist (endlich) zusammengefügt.
