3. November 2017

„Sind Sie dafür, dass der Block 2 (Steinkohlekraftwerk) des Heizkraftwerks Nord bis spätestens 31.12.2022 stillgelegt wird?“ – Über diese Frage können gemäß städtischen Angaben 1.115.535 Münchner Wahlberechtigte im Rahmen des Bürgerentscheids „Raus aus der Steinkohle!“ am Sonn­tag, 5. November, entscheiden. Die Wahllokale sind von 8 bis 18 Uhr geöffnet.

Der Entscheid ist gemäß Bayerischer Gemeindeordnung Artikel 18a gültig, wenn die Mehrheit der Abstimmenden mit „Ja“ stimmt. Diese Mehrheit muss allerdings mindestens zehn Prozent der Stimmberechtigten entsprechen. Notwendig  sind’s also 111 554 Ja-Stimmen. Für den kaum vorstellbaren Fall der Stimmengleichheit gilt die Frage als mit „Nein“ beantwortet. Den Bürger­entscheid zur Abschaltung auf den Weg gebracht haben fünf Dutzend Initiativen, die dazu mehr als 50 000 Unterschriften erhalten haben.

Das Heizkraftwerk (HKW) Nord, das am Rand des Bogenhauser Stadtteils Oberföhring auf Unter­föhringer Flur (Landkreis München) liegt, besteht aus drei Blöcken, die von den Stadtwerken München (SWM) in Kraft-Wärme-Kopplung betrieben werden. Dabei wird neben Elektrizität auch Fernwärme zur Versorgung von etwa 150 000 Haushalten produziert. In den Böcken I und III wird seit 1992 bzw. 1983 Restmüll verbrannt – jährlich mehr als 700 000 Tonnen.

Der Block II, der seit 1991 am Netz hängt, wird pro Jahr mit rund 800 000 Tonnen Steinkohle – über wiegend in den USA gefördert und täglich von zwei bis drei Güterzügen geliefert – befeuert. Diese irre Menge Brennstoff umgerechnet anders dargestellt: 2400 Tonnen Kohle am Tag oder 100 Ton­nen Kohle pro Stunde werden benötigt.

Wie vermeintlich modern und aufwändig die Reinigung, das Filtern der Abgase aus den drei, 130 Meter hohen Schornsteinen im Kraftwerk auch ist oder sein mag: Das HKW Nord ist, wie es ein Bogenhauser Lokalpolitiker unlängst formuliert hat, „Münchens größte Dreckschleuder“. Tatsächlich verschmutzt das HKW die Luft mehr als der gesamte Münchner Straßenverkehr – die CO2-Emissionen betragen jeweils mindestens 1,7 Millionen Tonnen. Pro Jahr, wohlgemerkt! Dazu kommen >nebenbei< noch jährliche hochgiftige Quecksilber-Emissionen von rund 70 Kilogramm.

Standpunkt Effnerstraße: Das Heizkraftwerk (HKW) Nord, am Rand des Bogenhauser Stadtteils Oberföhring auf Flur der benachbarten Gemeinde Unterföhring gelegen, ist mit seinen Emissionen einer der größten Luftverpester Münchens. Foto: hgb
Standpunkt Effnerstraße: Das Heizkraftwerk (HKW) Nord, am Rand des Bogenhauser Stadtteils Oberföhring auf Flur der benachbarten Gemeinde Unterföhring gelegen, ist mit seinen Emissionen einer der größten Luftverpester Münchens. Foto: hgb

Robert Brannekämper, stellvertretender Vorsitzender des Bezirksausschusses und CSU-Landtags­abgeordneter, hatte bereits im Dezember 2014 im Kommunalparlament namens der CSU-Fraktion von der Stadt „umgehend die Umstellung von Steinkohle- auf Erdgasbefeuerung“ gefordert. Der Antrag war von den Lokalpolitikern unisono unterstützt worden. Brannekämper hatte seinerzeit empört erklärt:

„Die Umstellung wollen die um Marketing- und Imagekampagnen sonst nicht verlegenen SWM erst in 25 Jahren vornehmen. Der Ausstieg aus der Kohleverbrennung kann aber nicht 25 Jahre warten, er muss sofort angegangen werden. Es ist doch absurd, dass die SWM in Spanien und Großbritan­nien klimafreundliche Kraftwerke baut, aber in ihrer Heimatstadt weiter auf den Klimakiller Kohle setzt.“

Unverständlich für den Politiker war und ist zudem, dass bei der Stadtverwaltung Verkehrs reduzierende Maßnahmen für Personenwagen zur CO2-Einsparung „auf der Tagesordnung sind, während im HKW Nord tagtäglich munter Kohle weiter verheizt wird.“

Aus dem Beiblatt der Wahlunterlagen wird klar, wie gegensätzlich die Einschätzungen zwischen den Bürgerinitiativen (Liste mit 13 Punkten) und der Stadt (fünf Kontra-Argumente) zu einer Abschaltung sind.

Die Initiatoren führen an, dass die SWM das „HKW noch bis 2035 mit Steinkohle betreiben wollen“. Ein Kohleausstieg sei laut SWM-Gutachten aus dem Jahr 2016 „technisch umsetzbar, der Ausstieg 2022 ist also möglich und notwendig“. Die Versorgungssicherheit sei sogar bei einem Ausstieg ab 2020 sichergestellt. Und die Schäden, die die Emissionen des Kraftwerks anrichten, „sind nach Zahlen des Umweltbundesamts achtmal höher als die Investitionen in den schnellstmöglichen Ausstieg“.

Der Stadtrat „lehnt die kurzfristige Stilllegung des Blocks II im HKW ab, es ist eines der modernsten und emissionsärmsten Kohlekraftwerke Deutschlands“, viele Gründe sprächen „gegen eine Abschaltung schon im Jahr 2022.“ Einmal sind’s finanzielle Aspekte. Und eine Abschaltung bringe „fast keine CO2-Einsparung“, weil die „wegfallende Stromerzeugung derzeit noch von anderen, teilweise älteren Kohle- und Gaskraftwerken an anderen Stellen in Deutschland und Europa ersetzt werden. Die in München wegfallenden CO2-Emissionen würden daher an anderer Stelle neu entste­hen.“ Und die Stadt könne über eine Abschaltung nicht allein entscheiden, „die Bundesnetzagentur entscheidet ca. ein bis zwei Jahre vor dem Abschaltdatum“.