20. Februar 2019

Am morgigen Donnerstag, 21. Februar, 19 Uhr (Einlass ab 18 Uhr) veranstaltet das „Bündnis NordOst“ in der Theaterfabrik an der Musenbergstraße in Johanneskirchen eine große Podiumsdiskussion mit Vorträgen, um über „Europas größtes Bauvorhaben“ – die geplante Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Nordosten Münchens, wo auf einem mehr als 600 Hektar großen Areal entlang der S 8 neue Wohngebäude für bis zu 30 000 Menschen und Arbeitsplätze für bis zu 10 000 Menschen entstehen sollen – zu informieren und mit den Spitzen der im Rathaus vertretenen Fraktionen zu diskutieren.

Feld, Wald, Wiesen – kaum vorstellbar, dass die Flächen rund um Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen einmal zubetoniert und asphaltiert sind. Abbild.: CSU / Foto: hgb

„Es geht um die Zukunft des Nordostens. Es gilt, eine Balance zu finden zwischen Arbeit, Wohnen und Lebensqualität. Und alle Bürger mitzunehmen. Wir brauchen dazu keine SEM“, fordert die Gruppierung um die Sprecher Markus Bichler, Andreas Hotschek und Daniela Vogt.

Man will „die Planungen kritisch begleiten und konstruktiv mitgestalten.“ Vogt im Bezirksausschuss: „Die Bürger sollen zu Wort kommen, sollen Antworten erhalten.“

Vor der Großveranstaltung reagierte nun Stadtbaurätin Elisabeth Merk auf Fragen in einem Offenen Bündnis-Brief. Die redaktionell bearbeiteten und gekürzten Antworten auf die Fragen des Bürger-Bündnisses:

Frage: „Wie viele und welche SEMs wurden in München bereits angekündigt, voruntersucht, eingeleitet und abgeschlossen?“
Antwort: In München wurden zahlreiche Einleitungsbeschlüsse gefasst. Diese betrafen insbesondere die ehemaligen Militärflächen, wie zum Beispiel die Prinz-Eugen-Kaserne. In der Folge konnte die Stadt diese Flächen von der Bundesrepublik erwerben und attraktive und lebendige Stadtviertel entwickeln, die mit ihrem hohen Anteil an gefördertem Wohnungsbau einen Beitrag zur Wohnraumversorgung leisten. Die Durchführung einer förmlichen Entwicklungsmaßnahme war daher in keinem der Fälle erforderlich. Voruntersuchungen fanden in Feldmoching für die „Bergwachtstraße“ statt, wurden auf Grund der fehlenden Finanzierbarkeit der Maßnahme eingestellt. Aktuell laufen nur vorbereitende Untersuchungen für den Münchner Nordosten.

Frage: „Politik und Planungsreferat äußern übereinstimmend, dass es Enteignungen nicht geben wird. Gilt diese Aussage nicht nur jetzt, sondern auch für die Zukunft und kann diese Zusicherung rechtssicher gestaltet werden? Die dauerhafte Verlässlichkeit einer solchen Aussage ist für die betroffenen Landwirte von existenzieller Bedeutung.“
Antwort: OB Reiter hat mehrfach zugesichert, dass es keine Enteignungen geben wird. Auf Grund der erfolgten Gespräche mit den Eigentümern sieht das Planungsreferat eine große Chance, eine Entwicklung des Gebiets über städtebauliche Verträge, also einvernehmlich, sicherzustellen. In diesem Fall wären weder eine SEM geschweige denn Enteignungen erforderlich bzw. zulässig.

Frage: „Ihnen liegt seit Juli 2018 ein Kurzgutachten von Prof. Wolff vor. Er kommt zu dem Ergebnis, dass bei Verzicht auf Enteignungen eine SEM nichtig wäre. Ihre Antwort hierzu steht noch aus.“
Antwort: Das Kurzgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass ein Plan, eine SEM in Form einer Satzung (§ 165 Abs. 5 BauGB) zu beschließen bei gleichzeitig festem Willen, betroffene Grundstückseigentümer auch im Notfall nicht zu enteignen, eine diffuse Planungssituation entstehen lassen würde, die nach Einschätzung des Erstellers weder von § 165 BauGB gemeint noch mit ihm konform sein dürfte. Es darf bezweifelt werden, ob die Wahl von milderen Mitteln tatsächlich einen Verstoß gegen die §§ 165 ff. BauGB darstellen würde, zumal das Gesetz selbst die Enteignung nur als ultima ratio zulässt. Letztlich muss eine Prognose zum Zeitpunkt des Satzungserlasses ergeben, dass die Maßnahme zügig umsetzbar ist. Erscheint dies auch ohne Enteignungen möglich, ist kein Grund ersichtlich, der gegen die Rechtmäßigkeit der Maßnahme spricht. Es sind aber auch Situationen denkbar, in denen die SEM auch ohne Enteignungen sinnvoll sein kann.

Frage: „Diese Feststellung ist nach Meinung vieler Juristen zutreffend und wird auch durch ein Gutachten von Prof. Wolff untermauert. Das Gutachten ging am 27.05.2017 an das Planungsreferat. Eine Antwort steht leider aus.“
Antwort: Die Aussage gibt die Rechtslage nur verkürzt wieder. Eine Stellungnahme des Planungsreferats an den Auftraggeber des Gutachtens ist bereits am 3. Juli 2017 erfolgt. Das Gutachten selbst führt aus, dass § 153 Abs. 1 BauGB, also der Ausschluss von entwicklungsbedingten Wertsteigerungen („Einfrieren von Bodenpreisen“), im Grundsatz auch bei landwirtschaftlich genutzten Flächen gelte: „Ist § 169 Abs. 4 BauGB anwendbar, greift die Wertabschöpfungsregel von § 153 BauGB im Kern ein. Dies bedeutet, dass auch bei landwirtschaftlichen Grundstücken, die nur einen innerlandwirtschaftlichen Verkehrswert besitzen, die Wertsteigerung, die auf Grund der Entwicklungsmaßnahme entstanden ist, außer Betracht bleibt.“ Die im Gutachten vertretene Ansicht, wonach in der Regel der Wert für Bauerwartungsland gelte, steht im Widerspruch zu zahlreichen Literaturmeinungen

Frage: „Großen Teilen des Stadtrats, dem Planungsreferat und auch Ihnen ist sicher bekannt, dass es im Gebiet zu regelrecht explodierenden Bodenpreisen gekommen ist. Die Initiative Heimatboden hat in einer Petition an den Landtag Beispiele beschrieben. Sind Ihnen diese Fälle bekannt und können Sie sie bestätigen?“
Antwort: Im Nordosten laufen derzeit vorbereitende Untersuchungen für eine SEM. Die Kaufvertragsparteien werden hierdurch aber nicht gehindert, Kaufpreise zu vereinbaren, die deutlich über dem Verkehrswert liegen. Spekulationen können daher nicht gänzlich verhindert werden. Spekulationen gehen aber in zwei Fällen ins Leere: Die Entwicklung des Gebiets findet nicht statt oder der Stadtrat beschließt eine förmliche Entwicklungsmaßnahme: Dann trägt der Erwerber, der einen spekulativen Preis gezahlt hat, das Risiko, dass die Gemeinde nur zum entwicklungsunbeeinflussten Anfangswert erwirbt und er einen Verlust erleidet.

Frage: „Es besteht Anlass zur Annahme, dass vom Gutachterausschuss der Stadt durch Umwidmung von Flächen Bodenwerte manipuliert wurden. Auch dies ist Gegenstand der genannten Petition. Sind Ihnen diese Vorkommnisse bekannt?“
Antwort: Der Gutachterausschuss für Grundstückswerte ist nicht Teil der Stadtverwaltung und weisungsfrei. Der Gutachterausschuss und die Geschäftsstelle haben den Vorwurf der Manipulation entschieden zurückgewiesen.“

Frage: „Eine SEM Nordost müsste nach Einleitung innerhalb von 15, maximal 20 Jahren vollständig abgeschlossen sein. Bei einem Bauvorhaben dieser Größenordnung erscheint dies unmöglich, wenn man beispielsweise an Freiham, an die Bayern-Kaserne oder an Riem denkt. Halten Sie den Zeitrahmen für ausreichend? Derzeitige Planungen lassen das eher als unrealistisch erscheinen.“
Antwort: Die Rechtsprechung macht es von der Größe und Komplexität der jeweiligen Maßnahme abhängig, welche Anforderungen an die zügige Durchführung zu stellen sind. Auch 23 Jahre sind hier noch als möglicher Zeitraum akzeptiert worden: Die Stadt wäre jedenfalls grundsätzlich in der Lage, auch eine großräumige Maßnahme zügig im Sinne des Gesetzes durchzuführen. Da eine Prognose über die zügige Durchführbarkeit einer Maßnahme aber erst zum Abschluss der vorbereitenden Untersuchungen erstellt werden kann und muss, erübrigt sich derzeit eine weitere Auseinandersetzung mit dieser Frage. Bei den Gebieten Freiham, Bayernkaserne oder Riem handelt es sich um nicht vergleichbare Entwicklungen, die auch nicht als SEM durchgeführt wurden. Hier galt das rechtliche Gebot der zügigen Durchführung gerade nicht.

Frage: „Die Eigentümer der Grundstücke wollen den Rechtsstreit notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht oder zum Europäischen Gerichtshof tragen. Die eintretende Zeitverzögerung wäre erheblich. Würden Sie dieses Prozessrisiko eingehen?“
Antwort: Ziel der Stadt ist ein einvernehmliches Vorgehen gemeinsam mit den Eigentümerinnen und Eigentümern. Eine Klagemöglichkeit besteht erst ab Erlass und Inkrafttreten einer sogenannten Entwicklungssatzung. Ob diese überhaupt notwendig wird bzw. vom Stadtrat beschlossen werden würde, ist derzeit nicht absehbar. Insoweit erübrigen sich Überlegungen zu Prozessrisiken.

Frage: „Durch einen Stadtratsbeschluss und laut Planungsreferat ist eine Untertunnelung der S8 vor Baubeginn eine unabdingbare Voraussetzung. Ist diese Bedingung für Sie nach wie vor gültig?“
Antwort: Das Planungsreferat setzt sich von Anfang an gemäß den Beschlüssen des Stadtrats in den Verhandlungen mit der Deutschen Bahn und dem Bund für einen Ausbau der Strecke zwischen Daglfing und Johanneskirchen für den Güterverkehr und der S8 in Tunnellage ein. Daher wird die Tunnellage auch als Voraussetzung in den Wettbewerb eingebracht. Bis tatsächlich eine bauliche Aktivierung der Flächen östlich der S8 in Form von Satzungsbeschlüssen von Bebauungsplanverfahren möglich sein wird, wird die Tieferlegung der S8 hinreichend konkretisiert sein.

Frage: „Worin sehen Sie die Vorteile einer SEM gegenüber anderen Verfahren?“
Antwort: Die vorbereitenden Untersuchungen bieten die Gelegenheit, die Gesamtentwicklung eines Gebiets, welches flächenmäßig niemals in einem einzigen Bebauungsplanverfahren entwickelt werden könnte, vorzubereiten. Parallel können die infrastrukturellen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abgeklärt werden. Die Initiative für diese Klärungen, wie auch das Kostenrisiko liegen (anders als bei Entwicklungen nach SoBoN) nicht bei den privaten Eigentümerinnen, sondern bei der Stadt. Entstehende Spekulationen können zwar nicht endgültig verhindert werden, sie erfolgen aber auf Grund der bestehenden Risiken nicht ungebremst. Nach Vorliegen der Ergebnisse der Voruntersuchungen kann eine Prognose darüber getroffen werden, ob und auf welche Weise die Ziele und Zwecke der Maßnahme verwirklicht werden können. Gerade bei einer großflächigen Entwicklung am Stadtrand ist einerseits mit erheblichen Bodenwertsteigerungen andererseits mit erheblichen Kosten (für Erschließung, weiterführende Schulen, Ausgleichsflächen) zu rechnen. Für mitwirkungsbereite Eigentümer besteht dann immer noch die Möglichkeit über Abwendungsvereinbarungen in eine vertragliche Zusammenarbeit mit der Stadt zu kommen.

Die vielen Bauvorhaben im Münchner Nordosten und insbesondere die SEM bereiten den Bürgern Sorgen. Hier dargestellt: Bauvorhaben ab 500 Einwohnern (rot) und ab 500 Arbeitsplätzen (gelb). Grafik: Robert Brannekämper, MdL / Kartenmaterial: OpenStreetMap

Frage: „Im Stadtbezirk 13 sowie im Umfeld gibt es große Probleme mit dem ÖPNV sowie dem Individualverkehr. Die Höhe des Grundwassers bereitet zudem vielen Anwohnern ernsthafte Sorgen. Wäre die Stadt bereit, bestehende Gutachten und auch künftige Gutachten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen?“
Antwort: Die Verwaltung hat die Aufgabe, über eine integrierte, also sämtliche Fachbelange berücksichtigende, Planung Grundlagen für eine künftige, nachhaltige Stadtentwicklung zu schaffen. Daher setzt sich das Planungsreferat seit Beginn intensiv mit fachlichen Fragestellungen, wie zum Verkehr, zum Natur- und Artenschutz aber auch zu stadtklimatischen Fragestellungen auseinander. Mit Vertiefung der Planungen erfolgt auch eine weitere Detaillierung der Gutachten. Die bereits erstellten Gutachten hat das Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Öffentlichkeit während der großen Öffentlichkeitsbeteiligung im Frühjahr 2017 zugänglich gemacht:

Hierbei wurden durch die Planer die Inhalte der Gutachten präsentiert. Die Gutachten lagen bei der Öffentlichkeitsbeteiligung aus und konnten vor Ort eingesehen werden. Darüber hinaus wurde für die Mitglieder der beiden Bezirksausschüsse Anfang 2017 ein gesonderter Termin angeboten, indem die Inhalte des Verkehrsgutachtens vorgestellt und offene Punkte diskutiert werden konnten.Auszüge aus den bereits erstellten Gutachten sind über den projektbezogenen Internetauftritt https://go.muenchen.de/gutachten abrufbar. Im am 13.2.2019 vom Stadtrat beschlossenen Eckdatenbeschluss wird ein Ausblick darauf gegeben, welche Fachgutachten aufbauend auf dem Ergebnis des Ideenwettbewerbs voraussichtlich beauftragt werden sollen.

Frage: „Würden Sie eine Teilnahme von Bürgern/Bürgerinitiativen im Preisgericht bei Architektenwettbewerben befürworten?“
Antwort: Ihr Interesse und der Wunsch, aktiv an der Zukunft des Nordostens mitzuwirken, bedeutet großes persönliches Engagement, was ich sehr begrüße. Durch den Eckdatenbeschluss des Stadtrats wurde festgelegt, dass die Zusammensetzung des Preisgerichts analog der Empfehlungen des Ältestenrats erfolgen soll. Bei dem anstehenden Ideenwettbewerb werden neben den Fachrichtern in den Preisgerichten auch Vertreter der Stadtratsfraktionen und die Vorsitzenden der Bezirksausschüsse vertreten sein. Dies sind die durch die Bürger gewählten Vertreter. Sie werden die Belange der Bürger vor Ort einbringen.