7. September 2020

Beim Antrag einer Frau auf der Bogenhauser Bürgerversammlung im vergangenen Herbst ging ein Raunen durch die Reihen: „Kündigungsverbot der Mietwohnungen für Senioren ab 70 Jahren – ganz gleich mit welcher Begründung“. Gleichwohl war den meisten bewusst, dass die Chancen dafür gering sind. Aber: Das Sozialreferat, geleitet von Dorothee Schiwy, bezog jetzt Stellung.

Das Fazit: „Die vorgeschlagene Regelung stößt hinsichtlich ihrer Zuläs­sig­keit auf rechtliche Be­denken. Der Oberbürgermeister wird beauftragt, sich an das Bundes­minis­terium der Justiz und für Verbraucherschutz sowie den Deutschen Städtetag zu wenden, um Änderungen der § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB (Eigenbedarf) und § 574 BGB (Widerspruchsrecht) vorzuschlagen.“ Auszüge des Beschlusses:

„Nach den Erfahrungen des Referats wird Senioren nicht häufiger gekündigt als anderen Miet­par­tei­en. Allerdings wirkt sich eine Kündigung in ihrem Fall auf Grund ihrer persönlichen Situation häu­fig deutlich schlimmer aus als bei anderen Mietern. Oft ist eine Kündigung mit einem Zusammen­bruch der Infrastruktur von alten Menschen sowie dem Verlust ihres vertrauten Umfelds verbun­den.

Rechtliche Möglichkeiten bei einer Kündigung: Es ist jedem Mieter dringend zu empfehlen – am besten mit Hilfe eines Mietervereins oder mit einer Anwaltskanzlei – bis spä­tes­tens zwei Monate vor Ablauf der Kündigungsfrist Widerspruch einzulegen. Sofern Mieter nicht bereits durch eine Anwalts­kanzlei vertreten oder Mitglied beim Mieterverein sind, können sie auch einen Termin für eine Bera­tung vereinbaren (Tel.: 233 – 40200). Die kostenlose Serviceeinrichtung der Stadt befindet sich im Amt für Wohnen und Migration, Zimmer 238, Franziskanerstraße 8.

Allein das Alter der Mietpartei schützt sie nach der aktuellen Rechtslage nicht vor einer Kündi­gung. Spätestens im Räumungsverfahren müssen bei Gericht neben dem Alter weitere Härtegrün­de angegeben werden, zum Beispiel eine mittels eines ärztlichen Attests belegte psychische bzw. körperliche Erkrankung, die einen Umzug nicht möglich machen. Als weitere Härtegründe können die „Verwurzelung in der Wohngegend“ (gute Versorgung durch Ärzte, Einkaufsmöglichkeiten, hilfreiche Verwandte und Nachbarschaft, die aktuell sehr viel zur Alltagsbewältigung beitragen) und die fehlende Möglichkeit, angemessenen Ersatzwohnraum zu finden, geltend gemacht werden.

Die Praxis zeigt, dass das Gericht in vielen Fällen ein Gutachten in Auftrag geben wird, wenn mit­tels eines Attests Härtegründe wegen des Alters, der gesundheitlichen Situation oder einer Behin­de­rung des Mietenden vorgetragen werden. Ferner trifft die betroffene Mietpartei die Obliegenheit, sich mit Hilfe von Verwandten und Bekannten oder öffentlichen und privaten Stellen sowie unter In­anspruchnahme geeigneter Medien (Zeitungsannoncen, Internet) ernsthaft und nachhaltig um eine angemessene Ersatzwohnung zu bemühen. Maßgebend ist, was ihnen unter ihren persön­lichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zuzumuten ist.

„Kündigungsverbot der Mietwohnungen für Senioren ab 70 Jahren – ganz gleich mit welcher Begründung“ – das hatte eine Frau bei der Bürgerversammlung gefordert. Das Sozialreferat fasste dazu einen Beschluss und rät Betroffenen, was zu tun ist. Symbolfoto: hgb

Da sowohl auf Seiten des Vermietenden wie auf Seiten des Mietenden grundrechtlich geschützte Belange (Eigentum, Gesundheit) betroffen sind, ist eine umfassende Sachverhaltsaufklärung sowie eine besonders sorgfältige Abwägung erforderlich, ob im jeweiligen Einzelfall die Interessen des Mietenden an der Fortsetzung des Mietverhältnisses diejenigen des Vermietenden an dessen Be­endigung überwiegen, vgl. § 574 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Maßgebend ist allein, ob sich ein Überwiegen der Belange der Mieterseite feststellen lässt, also die Interessenabwägung – wie es der Bundesgerichtshof formuliert – zu einem „klaren Ergebnis“ führt.

Stellungnahme zur Empfehlung der Bürgerin: Würde man der Empfehlung folgen, bedeutete dies, dass Senioren ab 70 Jahren auch nicht wegen Mietschulden oder vertragswidrigem Verhal­tens gekündigt werden können. Damit wären die Belange der Vermieter nicht hinreichend berück­sichtigt.

Ein Kündigungsschutz ab 70 Jahren würde zudem bedeuten, dass man Mieter mit beispielsweise 68 oder 69 Jahren vom vorgeschlagenen Kündigungsschutz ausnehmen würde und kündigen könn­te. Der Schutz der Älteren über 70 Jah­re könnte damit zu einer Altersdiskriminierung der unter 70 Jahre alten Mieter führen. Dies kann nicht das gewollte Ergebnis der Antragstellerin sein. Im Übrigen widerspräche eine gesetzliche Vorschrift mit einer Differenzierung nach Kündigungsschutz für Mieter über 70 und unter 70 Jahren ebenfalls dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3 Grundgesetz (GG).

Ferner bestünde die Gefahr, dass Vermieter ihrer Mietpartei kündigen, bevor diese das 70. Lebens­jahr vollendet hat, um einen Wertverlust der Wohnung zu vermeiden, weil sie bei einem eventuellen Verkauf der Wohnung mit einem hohen finanziellen Abschlag rechnen müssen. Auch ist nicht außer Acht zu lassen, dass viele Kleinvermieter Wohnun­gen zu ihrer Altersvorsorge gekauft haben und in diese ggf. mit Renteneintritt einziehen wollen. Diesen würde mit solch einer Regelung die Möglich­keit genommen, hier Eigenbedarf geltend zu machen.

Hohes Alter und Schwerbehinderung als Härtegründe nennen und gewichten: Nach § 574 BGB kann der Mieter der Kündigung widersprechen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses ver­langen, würde die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen ande­ren Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermietenden nicht zu rechtfertigen ist. Ferner heißt es in Absatz. 2, dass „eine Här­te auch vorliegt, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann.”  – Nach Meinung des Sozialreferats sollte dieser Absatz durch den Bundesgesetz­geber ergänzt werden, indem zusätzlich auch hohes Alter und Schwerbehinderung als Härtegründe mit aufgenommen werden.

Eigenbedarfskündigungen erschweren: Vielfach erfolgt die Kündigung von älteren Mietern durch Eigenbedarf. Das Sozialreferat vertritt die Auffas­sung, dass hier ein dringender Reformbedarf be­steht und nimmt diese Bürgerversammlungs-Emp­fehlung zum Anlass, erneut auf diese Proble­matik unter dem Gesichtspunkt des Schutzes von älteren Mitbürgern hinzuweisen.

Nach der Erfahrung der Mietberatungsstelle besteht bei vielen Mietern die Befürchtung, ihre Woh­nung wegen Eigenbedarfs zu verlieren. Dies führt dazu, dass Mieter in zunehmendem Ausmaß miet­rechtliche Ansprüche wie Instandsetzungsarbeiten in der Wohnung, für die die Vermieter zu­stän­dig sind, nicht geltend machen. Auch unwirksame oder zu hohe Mietforderungen werden oft­mals aus Sorge um den Erhalt der Wohnung akzeptiert. Hintergrund ist eine in den vergangenen Jahren vom Bundesgerichtshof ergangene Rechtsprechung zum Kündigungsgrund „Eigenbedarf“, die den Vermietern die Beendigung des Mietverhältnisses grundsätzlich erleichtert hat. Gesetzliche „Verschärfungen“, die diese Tendenz im Sinne der Mieter verändern könnten, sind daher aus Sicht des Sozialreferats sinnvoll.

Im Einzelnen könnten folgende Änderungen umgesetzt werden: • Der Eigenbedarf sollte nur noch für Verwandte in „gerader Linie“ (Vater / Mutter, Kinder, Enkel) ausgesprochen wer­den dürfen. Der Gesetzgeber hat den Begriff der Familienangehörigen in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht näher bestimmt.

Nach der aktuellen Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes ist es möglich, auch beispielsweise Nichten und Neffen in den Kreis der privilegierten Familienangehörigen einzubeziehen. Bei diesen bedarf es -– wie auch bei Geschwistern des Vermietenden – über die Tatsache der Verwandtschaft hinaus keines zusätzlichen einschränkenden Tatbestands­merkmals wie etwa einer tatsächlich bestehenden engen sozialen Bindung zu den Vermietern. In der Beratungspraxis zeigt sich ferner, dass Eigenbedarf selbst für den Schwager geltend gemacht wird – auch dies ist nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zulässig.

  • Für einen nachgewiesenen vorgetäuschten Eigenbedarf sollte ein Bußgeldtatbestand vergleichbar der „Hinaus­moder­nisierung“ in § 6 Abs. 1 und 2 WiStG (Wirtschaftsstrafgesetz) eingeführt werden; die Hürden für Mieter, Schadensersatz wegen eines vorgetäuschten Eigenbedarfs geltend zu machen, sind in der Praxis sehr hoch. Hier könnten Erleichte­run­gen hinsichtlich der „Beweislast“ der Mieter dazu beitragen, Vermietern von vorgetäuschten Eigenbedarfskündigungen besser als bisher abzuhalten.
  • Die Möglichkeit, Eigenbedarf für eine Zweitwohnung geltend zu machen (die von dem Vermieter nur gelegentlich ge­nutzt wird), sollte ausgeschlossen bzw. zumindest sehr eingeschränkt werden. Vermieter sind zur Kündigung wegen Eigenbedarfs grundsätzlich auch dann berechtigt, wenn sie die vermietete Wohnung lediglich als Zweitwohnung nutzen möchten. Zwar reicht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allein der Wille der Vermieter, in den eigenen Räumen zu wohnen oder dort einen Familien- oder Haushaltsangehörigen wohnen zu lassen, für die Annahme von Eigenbedarf noch nicht aus. Es genügen jedoch vernünftige und nachvollziehbare Gründe für die Inanspruchnahme des Wohnraums.
  • Der Mieter sollte besser gegen einen absehbaren Eigenbedarf, der bald nach Vertragsschluss geltend gemacht wird, geschützt werden (Beispiel: ein Vermieter hat bei Mietvertragsabschluss fast volljährige Kinder, erwähnt dies bei Mietvertragsabschluss jedoch nicht. Nach der derzeitigen Rechtsprechung kann er bereits kurz nach Vertragsschluss Eigenbedarf geltend machen, obwohl der Eigenbedarf „absehbar“ war).
  • Der Eigenbedarf wird derzeit von der Rechtsprechung erst dann abgelehnt, wenn der Wohnraumbedarf der Person, zu deren Gunsten die Kündigung ausgesprochen wurde, „weit überhöht ist“ (zur Zeit ist laut BGH beispielsweise die Kün­digung einer 125 Quadratmeter großen Wohnung grundsätzlich zulässig, wenn der studierende Sohn des Vermieters in dieser Wohnung mit einer zweiten Person eine WG gründen will). Die Anforderungen an einen „überhöhten Wohn­be­darf“, auf Grund dessen die Eigenbedarfskündigung unzulässig ist, sollten gesenkt werden. Diese Beispiele für die Einschränkungen der Möglichkeit, mit Eigenbedarf zu kündigen, würden auch einen verbesserten Kündigungsschutz für ältere Mieter darstellen.