Was will denn der da?“ entfuhr es überrascht einem Mitglied des Bezirksausschusses kurz vor Beginn der März-Tagung des Kommunalparlaments. „Der“ – das war Gerhard Mayer
Leiter des Amts für Wohnen und Migration im Sozialreferat.
Der Lokalpolitiker hatte offensichtlich – wie mehrere andere Stadtteilvertreter auch – eine am späten Nachmittag (!) des Sitzungstags verschickte Mail noch nicht gelesen. Natürlich konnte weder auf der Tagesordnung noch auf den Nachtragslisteein Tagesordnungspunkt stehen. Der Mann ahnte Ungemach. Auch die Pressevertreter verstanden wie er nur „Bahnhof“.
Das „Ende“ vorweg: Am Freitag, 28. März (Ort und Uhrzeit werden unser-bogenhausen.de nach Kenntnis umgehend veröffentlichen) findet eine Sondersitzung des Bezirksausschusses statt. Thema: Mehr Flüchtlinge in der Unterkunft Brodersenstraße 34.
Zurück zur Tagung: Die Vorahnung des Lokalpolitikers hatte sich schnell bestätigt. In der Flüchtlingsunterkunft an der Brodersenstraße sollen zu den bestehenden und genehmigten 150 Plätzen zusätzlich 70 Personen – „überwiegend Familien“ – dazu kommen! Zwei-Bett-Zimmer sollen kurzerhand in Drei-Bett-Zimmer verwandelt werden. Das wären drei Personen auf etwa 14 Quadratmeter. „Das ist doch wahnsinnig eng“, meinte ein Stadtteilvertreter. Dazu Mayer: „Die Belegung liegt bei rund 80 Prozent.“ Also statt bislang – wenn jetzt schon die 80-Prozent-Belegungsformel des Amtsleiters gilt – 120künftig etwa 180 Plätze. Kurzum: ein Zahlensalat!
Laut Mayer werden der Stadt via Regierung von Oberbayern weitere Flüchtlinge zugewiesen. Zudem benötigt die Deutsche Bahn das Areal – vermeintlich für eine Baustelleneinrichtung – zwei Jahre früher – statt 2032 nun 2030. Fürs Gesamtpaket bestehe überdies Zeitdruck. „Wir werden in den kommenden zwei bis drei Wochen auf die Anwohner zukommen und sie informieren“, erklärte er.
Aber: Schulsituation, Umfeld, Spielplatz, Betreuung, Aufenthalt („junge Männer sitzen dann am S-Bahnhof Englschalking herum“)und anderes mehr – alles Aspekte, die ungeklärt sind.
Klartext seitens der CSU-Fraktion: „Warum kann man die Flüchtlinge nicht in jene Stadtbezirke umverteilen, in denen kaum welche untergebracht sind? Wie ist aktuell die Situation in den anderen 24 Stadtbezirken?“ fragte Peggy Schön. Fakt ist nämlich, dass in Bogenhausen die meisten Flüchtlinge untergebracht sind. Nämlich 2751 Personen. Zur besseren Einordnung: in Thalkirchen sind’s 1823, in Pasing 1270. Und in Obergiesing-Fasangarten? Null! Diese Zahlen hatte Robert Brannekämper, Landtagsabgeordneter und Fraktionssprecher, vor rund einem Jahr präsentiert.
Bezirksausschuss-Vorsitzender Florian Ring betonte jetzt: „Wir haben bisher einen guten Kompromiss hingekriegt. Nun wird’s kritisch. Es geht jetzt um die Glaubwürdigkeit gegenüber den Bürgern.“
Stadtrat Jens Luther entrüstet: „Das kann man nicht machen. Keine Erhöhung der Bettenplätze um 50 Prozent.“ Dem stimmte denn auch das Gremium zu. Luther ergänzte: „Das Grundstück ist meines Wissens städtisch. Die Bahn kann doch für eine Baustelleneinrichtung andere, brachliegende Grundstücke in der Nachbarschaft nutzen.“
Zum erwähnten Zeitdruck: Das Thema auf die Tagesordnung des Kommunalparlaments am Dienstag, 8. April, setzen unter Vorlage detaillierter Informationen seitens des Sozialreferats? Mayer kippte den Kopf hin und her. Was nun tun? Es folgte ein taktischer Schachzug von Ring: Damit sich Anlieger und Betroffene – einzig und ohne Zeitdruck wie bei einer „normalen“ Tagung mit vielen Punkten – zu diesem Thema äußern können, schlug er eine Sondersitzung des Bezirksausschusses am Freitag, 28. März, vor. Beschluss: Zustimmung einstimmig.
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Mayer lächelte, grüßte kurz und schnappte sich flugs seinen Fahrradhelm mit Marker-Gelb leuchtendem Kappenüberzug, warf eine Sportjacke über, verließ den Saal, konnte aber von unser-bogenhausen.de abgefangen werden. Warum?
Dazu muss man wissen: In der Vergangenheit hatten es die Lokalpolitiker in zähen Kämpfen geschafft, dass keine Unterkunft am Mirabellenweg und keine an der Glücksburger Straßeerrichtet wird und in der Unterkunft an der Savitsstraße weniger Menschen untergebracht werden als von der Stadt (zusätzlich) geplant. Gleichwohl blieb durch den Schachzug für Bogenhausen eine „Lücke“ von etwa 150 Personen. Dazu war eine Unterkunft an der Eggenfeldener Straße auf der Wiese beim Kleingartenverein angedacht. Ein Grundstück im Besitz der Stadt.
Im November 2023 hatte Mayer bei einer öffentlichen Sondersitzung des Kommunalparlaments – unter Voraussetzung, dass der Standort Eggenfeldener Straße realisiert wird – erklärt:„Dann werden keine weiteren Plätze in Bogenhausen mehr angestrebt!“ In der Folgezeit war zu dem geplanten Standort nichts mehr zu vernehmen.
Im Juni 2024 tauchte dann quasi aus dem Nichts das nächste Wohnprojekt für Flüchtlinge in Johanneskirchen auf: „Im Mehrparteienhaus Regina-Ullmann-Straße 5 / 7, das bislang vom Eigentümer als Boardighaus genutzt wurde“, so das Sozialreferat zu einer Beschlussvorlage am 18. Juli im Rathaus, „sollen 140 Plätze für vulnerable Geflüchtete“ eingerichtet werden. Dem Entwurf der Behörde stimmten die Mitglieder des Bezirksausschusses zu. Nach Umbauten sind Anfang dieses Jahres die ersten Personen eingezogen.
Rechnerisch wäre also alles ausgeglichen. Wäre, hätte!
Der „gestellte“ Mayer hinter der Tagungssaaltür konfrontiert mit seinem November-2023-Zitat „Dann werden keine weiteren Plätze in Bogenhausen mehr angestrebt“ – „Ist ja keine neue Einrichtung, es sind nur mehr Personen!“
Durchaus möglich, dass Mayer am 28. März „gegrillt“ wird. Oder wie gehört: „Es ist Zeit, dem seine Hosenträger strammen zu ziehen.“
