11. November 2019

Aus geografischer Sicht ist Bogenhausen ein kleiner Fleck auf der deutschen Landkarte. Was den Bahnverkehr anbetrifft, vor allem Güterzüge, ist der Stadtbezirk ebenfalls nur ein Detail im Schie­nennetz der Deutschen Bahn (DB). Aber bundesweit wohl ein einzigartiges Nadelöhr, ein strategi­scher Schnittpunkt, ein internationaler Knoten. Denn sowohl die Gütertrasse von Paris nach Buda­pest (West-Ost-Tangente) als auch die Verbindung von der Nordsee bis zum Mittelmeer, von Ko­penhagen bis Sizilien, mit Anschluss zum Brenner-Basistunnel, kreuzen künftig München.

Die Anwohner im durch die S-Bahn- und Güterzugstrecke von und zum Flughafen in zwei Teile gespaltenen Bogenhausen leiden seit Jahrzehnten unter höllischem Lärm. Und es könnte noch viel schlimmer kommen. Unter dem Aspekt „Der Nordosten braucht den Tunnel!“ informierten jetzt Robert Brannekämper, CSU-Landtagsabgeordneter sowie Vize-Vorsitzender des Kommunalparla­ments, und Xaver Finkenzeller, CSU-Fraktionssprecher im Bezirksausschuss. Gleichwohl zeitlich parallel ein Champions-League-Spiel der Bayern lief, hatten mehr als 120 Bürger die Diskussion verfolgt und an ihr teilgenommen.

Brannekämper, Finkenzeller, Stadtratskandidaten
„Der Nordosten braucht den Tunnel“: Informationsveranstaltung mit Robert Brannekämper, CSU-Landtagsabgeordneter sowie Vize-Vorsitzender des Bogenhauser Kommunalparlaments (hi. re), Xaver Finkenzeller, CSU-Fraktionssprecher im Bezirksausschuss (vo. li.) und den Stadtratskandidaten Daniela Vogt und Jens Luther. Foto: hgb

Brannekämper stellte in aller Deutlichkeit klar: „Ein Lärmschutzgutachten hat ergeben, dass Woh­nen und Leben entlang der Bahnstrecke zwischen Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen schon heute unzumutbar ist. Ohne Tunnel geht’s nicht, wir brauchen ihn dringend, er ist unver­zichtbar, sonst saufen wir ab. Ein paar Kilometer weiter, in Ismaning und in Unterföhring, ging’s ja auch. Das ist eine Blaupause für uns.“

Und weiter: „Ohne Tunnel – es sind ja vier Röhren, zwei jeweils seitlich für Güterzüge, zwei in der Mitte für die S-Bahn – kann man keinen neuen Stadtteil, kein neues Wohnquartier im Nordosten entwickeln. Wir müssen jetzt, nach mehr als 30 Jahren, weiterkommen, der gordische Knoten muss endlich durchschlagen werden. Die Bahn muss mit offenen Karten spielen, wir dulden keine Trick­sereien, wir wollen kein Stuttgart 21. Das ist die Ausgangssituation. Denn der Tunnel ist kein Luxusprojekt!“ Dazu präsentierte der Abgeordnete eine ökologische Vision: „Auf dem Tunneldach kann eine mehr als drei Kilometer lange, 60 Meter breite Grünfläche mit Spazierwegen angelegt werden – wie in Ismaning.“

Bereits heute verkehren laut Bahnangaben auf dem knapp vier Kilometer langen Abschnitt durch Bogenhausen täglich mehr als 80 Züge. Gemäß Planzahlen aus dem Jahr 2016 werden es bis 2030 rund 230 Züge sein – das Dreifache! „Und nach Prognosen, besser nach Schätzungen, sind’s im Vollausbau bis 2050 zwischen 400 und 600 Züge. Und zwar pro Tag. Denn der Südring der Bahn soll ja entlastet werden. Alles wird dann also durchs Nadelöhr bei uns gepresst“, so Brannekämper. „Ich habe im Dezember einen Termin bei Verkehrsminister Andreas Scheuer, da werde ich das alles darlegen.“

Das ist nicht grün, das ist für Anwohner unzumutbar: Güterzüge donnern durch Bogenhausen – und es sollen noch mehr werden. Plakat: CSU / Foto: hgb

Zu all dem muss man wissen: Der Tunnel bzw. der viergleisige Ausbau ist ein einzelnes Vorhaben der Bahn. Denn die DB arbeitet für die Zugverdichtungen im Münchner Osten in Zeitabschnitten an diversen Einzelprojekten, die alle miteinander verknüpft sind. Eines der Vorhaben ist die Truderinger und Daglfinger Kurve (TDK). Zwischen Daglfing und Riem soll die Strecke zweigleisig ausgebaut in einen Trog verlegt werden. Und die Truderinger Spange soll ebenfalls um ein zweites Gleis erweitert werden.

Bis zu 700 Meter lange Güterzüge, mehr als 100 Stundenkilometer schnell, donnern künftig gen und durch Bogenhausen. Und zwar 24 Stunden am Tag, rund um die Uhr! Deshalb ist die Realisierung des 2012 vom Stadtrat beschlossenen und 2016 bestätigten Tunnelbaus ein Muss. Indes – die Bahn ziert sich, werkelt im stillen Kämmerlein, untersucht drei Möglichkeiten: Gleise wie bisher oberirdisch, Gleise in einem Trog oder Gleise in einem Tunnel. Die Öffentlichkeit erfährt aber nichts, geschweige denn, dass sie einbezogen wird. Der Bezirksausschuss wurde in den vergan­genen Monaten zwei Mal (über die Bewertungskriterien und deren Gewichtung für die drei Varian­ten?) informiert – auf Bahnwunsch nicht öffentlich.

Vorgaben für alles, so erläuterte es Finkenzeller den Besuchern, sind einmal die Anwohner vor Bahnlärm zu schützen, zum zweiten die Verkehrserschließung sicher zu stellen und letztlich die Stadtteile zu verbinden. Im kommenden Mai, also zwei Monate nach den Kommunalwahlen, wolle die DB die Ergebnisse der Bewertungen im Schulnotenverfahren für 20 Aspekte von Lärm bis Umwelt, „den Stresstest für die drei Varianten“, präsentieren. Gleichwohl forderte der Jurist: „Die Bahn muss jetzt, sofort, heute, alle Daten, Zahlen und Prognosen, darlegen.“ Besagten „Stresstest“ werden dann die frisch gewählten Mitglieder des Bezirksausschusses analysieren und erörtern. Eine wie auch immer geartete „Zerlegung“ ist schon heute wahrscheinlich.

Brannekämper optimistisch: „Ich bin gutes Mutes, dass der viergleisige Ausbau in einem Tunnel kommt. Sonst gibt’s Krieg. Mit mir gibt’s keine Billiglösung, keine Mauer links und rechts der Gleise, da werde ich nicht mitmachen.“

So könnte der Tunnel für die S8 zwischen Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen aussehen: außen Röhren für die Güterzüge, innen fahren die S-Bahnen. Grafik: BI für Bahntunnel von Zamdorf bis Johanneskirchen e. V. / Foto und Bearbeitung: hgb

Wäre da noch der zeitliche Ablauf. Der Landtagsabgeordnete meinte: „Wenn der Bau der zweiten Stammstrecke 2030 abgeschlossen ist, kann der viergleisige S-Bahnausbau beginnen. Bei einer Bauzeit von etwa zehn Jahren könnte der Tunnel im Jahr 2040 fertig sein.“ – Könnte! – Und die Kos­ten:

Stand 2011 belief sich die Kalkulation für den Tunnelbau auf rund 670 Millionen Euro, der Anteil Münchens war etwa 550 Millionen Euro. Diese Zahlen waren nicht nur optimistisch, sie waren von vornherein schlicht und einfach Augenwischerei.

Stand 2016 errechneten die Fachleute „Kosten inkl. mögl. Steigerung Baukostenindex“ bis zur Inbetriebnahme von 970 Millionen Euro; der Anteil der Stadt lag bei etwa 800 Millionen Euro. Nun war’s also ein Milliarden-Projekt.

Stand 2018, August: Die DB taxiert – lies schätzt – das Projekt gemäß Unterlagen im städtischen Planungsausschuss auf nunmehr 2,3 Milliarden Euro. Geht man von einem 80-Prozent-Anteil Mün­chens aus, wären das mehr als 1,8 Milliarden Euro.

Ausblick 2040 unter Berücksichtigung einer jährlichen Steigerung der Bauosten von fünf Prozent, was Experten durchaus für wahrscheinlich erachten: etwa fünf Milliarden Euro; der 80-Prozent-Brocken für die Landeshauptstadt betrüge rund vier Milliarden Euro.

Wie sagte doch Brannekämper: „Es wird teuer, sehr teuer. Es ist ein europäisches Projekt – die EU muss Geld locker machen!“