25. Februar 2020
„SEM stoppen!“ – glasklare Ansage einer Themen- und Informationsveranstaltung mit Robert Brannekämper, stellvertretender Vorsitzender des Bezirksausschusses und CSU-Landtagsabgeordneter, und Münchens Vize-Bürgermeister Manuel Pretzl. Und alle Besucher, wohlgemerkt: alle, stimmten uneingeschränkt zu.
Die beiden Politiker zerlegten die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme, kurz: SEM, in ihre Bestandteile. Sie attackierten die drei präsentierten Preisträger-Entwürfe mit den von der Stadt geforderten Varianten („rücksichtsloses Architektenvorgehen“ und „völlig indiskutabel“), das Planungsreferat („rot-grün geprägt“ und „Fingerspitzengefühl fehlt“) sowie SPD und Grüne („beide zusammen verantworten die Wohnungskrise in München“).
Zum besseren Verständnis: Per SEM sollen auf einem mehr als 600 Hektar großen Areal entlang der S-Bahnlinie von und zum Flughafen, entlang von Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen, auf der grünen Wiese Großbauten mit Wohnraum für bis zu 30 000 Menschen und rund 10 000 Arbeitsplätze entstehen.
Das Großvorhaben wird (nach wie vor) von der Mehrheit der Bogenhauser rigoros abgelehnt. Denn Enteignungen von Grundstücken sind in letzter Konsequenz möglich. Tags zuvor hatte eine SPD-Stadträtin bei einer Veranstaltung in Aschheim erklärt, dass ihr der Begriff „Enteignung“ nicht gefalle und ihn umgeformt in: „Erzwungener Verkauf“. Der Unterschied?
Die Zahlen schrecken auf. So gehen die einzelnen Planvarianten von 10 000 Bewohnern (entsprechend etwa 3600 Wohnungen; zum besseren Vergleich: im Prinz-Eugen-Park entstehen 1800 Wohneinheiten), 20 000 Bewohnern (entsprechend etwa 7100 Wohnungen) und 30 000 Bewohnern (entsprechend rund 10 600 Wohnungen) aus. Und, wie erwähnt: etwa 10 000 Arbeitsplätze.
Gleichwohl ist es laut Brannekämper unverständlich, warum der erste Preis im Architektenwettbewerb gleich für alle drei Einwohnerzahlen, also die Varianten mit 10 000, 20 000 und 30 000 Menschen, pauschal vergeben wurde und nicht jeweils die beste Einzelvariante ausgewählt wurde. Und: Alle drei Modelle des Siegerentwurfs sind erweiterbar,
Frontalangriff von Brannekämper: „Man kann dieses Thema nicht einfach so geschäftsmäßig abarbeiten. Es ist erschreckend, wie das Planungsreferat an die Sache rangeht. In eine kleinteilige Struktur soll ein Mega-Projekt eingepfercht werden. Man muss sich mal vorstellen: In der Stadt Fürstenfeldbruck (Anm. der Red.: 32,5 Quadratkilometer Fläche, 37 000 Einwohner) leben rund 1150 Menschen auf einem Quadratkilometer Fläche), im Nordosten wären es 5000 Einwohner pro Quadratkilometer.“
Sein Fazit: „Das ist ein städtebaulicher Albtraum, das würde eine Monstersiedlung mit irren Dimensionen, nämlich Gebäuden mit bis 15 zu Stockwerken. Ein Murks aus dem Planungsreferat. Wird das realisiert, wird der Nordosten völlig im Verkehr absaufen, denn eine U-Bahn käme nicht vor dem Jahr 2040. Der Nordosten würde seine Identität, seine Struktur verlieren. Die Bürger haben am 15. März die Wahl: Wollen sie diesen Mist? Mit einer CSU-Mehrheit kann dieser Unsinn im Rathaus nach den Kommunalwahlen gestoppt werden.“
Schon vor Jahren hatte der Bogenhauser Vertreter im Maximilianeum gefordert: Zurück auf Los – das bedeutet: Einhaltung der maximalen Vorgaben, die Anfang neunziger Jahre festgeschrieben wurden. Damals war der seinerzeitige Stadtbaurat Uli Zech (SPD; im Amt von 1970 bis 1992; gestorben 2010) von höchstens 10 000 Bewohnern und etwa 2000 Arbeitsplätzen ausgegangen – verbunden ohne jegliche Eingriffe in den Naturraum jenseits des Hüllgrabens.
Pretzl erklärte: „Man kann doch nicht mit dem Holzhammer, ohne Verluste, planen. Alle Entwürfe sind geprägt durch ein rücksichtsloses Vorgehen der Architekten. Keiner von diesen Entwürfen kann es werden. Alles ist ein Einheitsbrei ohne Charme und Lebensqualität. Das passt nicht zu unserer Stadt. Das wäre ein Fremdkörper, würde ein Fremdkörper bleiben und würde ein sozialer Brennpunkt werden. Über die SEM muss der neue Stadtrat entscheiden. Deshalb stärken Sie uns.“
Zum zeitlichen Verlauf meinte der zweite Bürgermeister: „Es kann nicht alles zeitgleich ablaufen. Erst muss die zweite Stammstrecke fertig sein, dann kann der Tunnel für die S-Bahn gebaut werden. Kommt es zu Grundstücksenteignungen, kommt es zu Prozessen. Das dauert dann nochmals 15 bis 20 Jahre, ehe alles entschieden ist.“ Anders ausgedrückt: Vor 2050 ist nichts klar.
Ein baufachlich geprägter, älterer Besucher erklärte: „Die Größenordnung ist absoluter Wahnsinn. Die Wohndichte wäre zwei bis zweieinhalb Mal dichter als in Perlach. Die Grundvoraussetzungen sind nicht da, die Erschließung ist nicht gesichert, was ja selbst die Gutachter sagen. Mein einziger Trost ist, dass ich das alles nicht mehr erlebe.
Architekt Lutz Heese, Bewerber für einen Sitz im künftigen Bezirksausschuss, assistierte: „Das Bundesbaugesetz schreibt die Erschließung vor. Aber das ist hier nicht der Fall. Deshalb kann das Projekt nicht genehmigt werden.“
„Was macht die CSU, wenn es mit ihr zu einer Koalition im Rathaus kommt, mit der SEM?“ fragte der betroffene Landwirt Johann Oberfranz. Pretzls Antwort: „Wir werden uns einer SEM in einem Koalitionsvertrag nicht anschließen.“ Denn, so Brannekämper: „Wachstum um jeden Preis macht unser München kaputt.