15. Mai 2021

SEM: Irrsinniges Solo des Planungsreferats

Geht’s um die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Nordosten, auf dem 600 Hek­tar großen Areal jenseits der Bahnlinie entlang von Daglfing, Engl­schal­king und Johan­nes­kirchen, waren und sind sich alle Mitglieder des Bezirksausschusses bezüglich der Verlegung der Bahn­tras­se in einen Tunnel einig. Einigkeit – auch zwischen Grünen und der CSU im Kom­mu­nalpar­lament – gab’s jetzt auch über das Vorgehen zu den beabsich­tig­ten Erschließungs­plänen von Stadtbaurätin Elisabeth Merk und Michael Hardi, Leiter Stadtpla­nung im Planungsreferat.

Viele Monate war es ruhig gewesen um die SEM, verdächtig ruhig. Klar, in den Behördenbüros – abgeschirmt, quasi im Verborgenen – wurde wei­ter „ge­­wer­­kelt“ wird. Ein (nächster) „Knall“ war absehbar. Doch es kam zu keinem „Knall“, viel­mehr schlu­gen jetzt Aus­sagen und Erläuterungen von Merk und Hardi wie eine Bombe ein.

Klare Aussage: Eines von vielen Protestplakaten gegen die geplanten Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Nordosten. Foto: hgb

Was war geschehen? Montags hatte das Duo die Presse – örtliche Medien wurden nicht unter­rich­tet – zu einer Konferenz geladen. Vom Inhalt erfuhren die gewählten Bogen­hau­sener Lokalpolitiker nichts. Das Ergebnis „durften“ sie in der Zeitung lesen. Am nächsten Tag, Dienstag gegen 15 Uhr, so CSU-Fraktionssprecher Xaver Finkenzeller, etwa vier Stunden vor der Tagung des Corona-Son­dergremiums im Bezirksausschuss, wurden die Stadt­teilvertreter informiert – als alles schon öffent­lich war, sich vor Ort unter den Menschen ein Sturm der Entrüstung ausgelöst hatte.

Was ist geplant? Im gesamten Gebiet soll es – basierend auf dem Siegerentwurf des städtebau­li­chen Wettbewerbs ­ – unterteilt in acht Siedlungsareale geben mit jeweils 2000 bis 2500 möglichen Wohnein­heiten. Ausgehend von 2000 Wohnungen mal acht Areale mal 2,3 Personen pro Haushalt ergibt das un­glaubliche 36 800 Personen. Fast 37 000! Die bislang bekannten Pläne sind dreigeteilt – sie sehen 10 000, 20 000 oder maximal 30 000 Bewohner vor. 30 000 Menschen und dazu 10 000 Arbeits­plät­ze ist die Vorstellung der grün-roten Koalition im Rathaus. Nun also 36 800. Oder gar noch mehr. „Unglaublich“ kommentierte ein Lokalpolitiker.

Der Umgriff der geplanten Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Nordosten von Bogenhausen, auf dem Areal jenseits der S-Bahnlinie. Karte: Stadt München

Wo wird angesetzt? Das erste Siedlungsteil mit Straßenbahnanschluss (Verlängerung von Stein­hausen) und Fahrbahnen (nördliche Verlängerung der Riemer Straße) ist das Gelände der Olympia-Reitanlage (ohne Trabrennbahn und Galoppsport-Bereich). Der Freistaat als Besitzer sei bereit, so wird Hardi in der „SZ“ zitiert, den Grund in die Planung einzubringen. Nach diesem „Einstieg“ könnte anschließend ein Quartier mit Badesee entstehen. Dort sollen viele Grundstücke der Stadt gehören. „Stück“ um „Stück“ soll’s dann bis Johanneskirchen (S-Bahnhof) weiter gehen.

Wie sieht’s heute aus? Von den besagten mehr als 600 Hektar gehören der Stadt gerade mal 150 Hektar, also etwa 25 Prozent. Rund 450 Hektar befinden sich in Privatbesitz und im Besitz des Freistaats. Das reine Pla­nungsgebiet mit Erholungs- und (angeblich) auch Landwirtschaftsflächen umfasst rund 450 Hektar. Kurzum: Die Stadt braucht noch hunderte Hektar.

Wie könnte es weiter gehen? Für die notwendigen Ankäufe müsste die Stadt sehr gute Ange­bo­­te machen – nicht vorstellbar bei der Finanzlage Münchens über viele Jahre, ja einem Jahrzehnt hin­aus. Nicht vorstellbar ist auch, dass die Eigentümer klein beigeben. Und da kommt eben wieder das Instrument SEM ins Spiel. Sie bietet nämlich gemäß Gesetz als letzten Schritt Enteig­nungen an, wenn das Projekt daran scheitern sollte, dass Eigentümer ihren Boden nicht abgeben wol­len.

Dieses Damoklesschwert schwebt seit Langem über dem Nordosten. Es wurde seitens der städti­schen Planer von Beginn an versucht, das zu verharmlosen. Bis dato haben sie offensichtlich nichts, rein gar nichts dazu gelernt! Und ist es eigentlich so schwer zu kapieren, dass – obwohl ein bestätigter Beschluss des Stadtrats vorliegt – ohne Klarheit darüber, ob und wann die Bahn in einen Tunnel verlegt wird, die Erschließungsgestaltung, in welchem Umfang auch immer, eine kostenin­ten­­sive Troc­ken­­­übung ist. Also: Planungen einstellen!

Die Eigentumsverhältnisse im 600 Hektar großen SEM-Gebiet. Die Stadt besitzt davon 150 Hektar Karte: Planungsreferat (Stand März 2019)

Was macht (was will) die Stadt als nächstes (machen)? Aktuelle Mitteilung in Auszügen:

[alert-announce]„Die Pla­­nung ist einen gro­ßen Schritt vorangekommen, wir freuen uns, wenn wieder möglichst viele bei den nächsten Schritten mitmachen, mitreden und mitplanen. Die erste Veranstaltung am Dienstag, 18. Mai, ab 19 Uhr, muss Corona bedingt digital stattfinden. Eine Teilnahme ist ohne Anmeldung über www.muenchen.de/nordosten möglich.“

 

Und:

„Diese Veranstaltung dient vor allem der Information: Mitglieder des Stadtrats und der Bezirks­aus­schüsse (sowie Merk und Hardi) erläutern den Sachstand und beantworten Fragen. Zu­dem ist eine Diskussionsrunde geplant. Die drei anschließenden Veranstaltungen im Sommer und Herbst sind dann dem Mit­ma­chen, Mitreden und Mitplanen gewidmet. Geplante Themen: Klimaschutz, ein bezahlbares Umfeld, innovative Mobilität. Die Termine werden unter www.muenchen.de/nordosten bekanntgegeben. Die Ergebnisse dieser Work­shops werden in die weiteren Planungen mit einfließen. Ein Stadtratsbeschluss zum weiteren Vorgehen ist für den Herbst geplant.“

 

[/alert-announce]

Wie reagiert der Bezirksausschuss (BA)? Per einstimmig verabschiedetem Dringlichkeitsantrag wird das Planungsreferat aufgefordert, den BA unverzüglich im Detail zum aktuellen Planungsstand in Sachen SEM Nordost zu informieren.

Denn:

[alert-announce]„Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, dass der BA über die weiteren Planungsschritte über ei­nen Artikel in der SZ erfährt.  Das bisherige Kommunikationsverhalten des Referats hat bereits für maximalen Ärger im Stadtbezirk gesorgt und die jetzige Presseinitiative deutet nicht auf die drin­gend notwendige Änderung des Vorgehens hin.

 

Des Weiteren tut sich das Referat offenbar schwer,  die Rolle des BAs in diesem für den Stadtbezirk höchst bedeutsamen Verfahren zu würdigen. Die SEM stellt für den Stadtbezirk und die dort wohnenden Bürger eine Herausforderung bis an die Belastungsgrenze dar, bei der der BA an vorderster Front steht. Bei solchen kontroversen Themen ist es von größter Wichtigkeit, den BA einzubeziehen und frühzeitig konkret zu informieren.“[/alert-announce]

Der Plan des BA:

[alert-note]

1. Die Veranstaltung am 18. Mai in dem bisher angedachten Format wird abgesagt.

2. Am 18. Mai wird der BA im Rahmen eines Fachgesprächs unter Beteiligung von Frau Merk und Herrn Hardi über die Planungsvorlage informiert und erhält die Möglichkeit Rückfragen zu stellen.

3. Der BA erhält einen Zeitplan für die weiteren Schritte (Bürgerbeteiligung) bis Ende Mai 2021.

4. Der BA begrüßt die angedachten Workshops. Hierzu ist er rechtzeitig einzuladen.

5. Die Stellungnahme des BAS ist nach den Workshops abzugeben, so dass der BA die Möglichkeit hat, die Anregungen aus der Bürgerschaft mit auf-

Zukünftig wird der BA im Untergreemium Stadtplanung und Bauordnung einmal im Quartal von Seiten des Planungsreferats über die Themen sowie Termine informiert.

 

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Was meinen die Lokalpolitiker? Zwei Statements – CSU-Sprecher Finkenzeller: „Dem Referat muss ein Riegel vorgeschoben, die Digital-Veranstaltung, eine Farce-Veranstaltung mit Chats, ab­ge­sagt werden. Wir brauchen einen verbindlichen Zeitplan. Man muss das Referat an die Kandare nehmen. Grünen-Sprecherin Petra Cockrell: „Vom Verfahren her ist das beschämend. Der Lern­effekt im Referat tendiert gegen Null. Die haben kein Fingerspitzengefühl gegenüber dem Bürger.“

Wie sieht’s die CSU im Stadtrat? Sabine Bär, Jens Luther, Fabian Ewald und Sebastian Schall fordern eine „echte Bürgerbeteiligung für die Entwicklung des Nordostens“. Ihr Antrag in Auszügen:

[alert-note]„Die Stadt bietet vor der Befassung des Stadtrats auch Präsenzveranstaltungen an, um allen Bür­gern die Möglichkeit der Teilnahme zu eröffnen. Die vorgesehene Bürgerbeteiligung für die Ent­wick­lung kann nicht allein in rein digitaler Form durchgeführt werden.

 

Inhaltlich sollen statt einer Vorfest­legung auf 30 000 Einwohner alle Varianten im Rah­men der Bürgerbeteiligung nochmals dargestellt und erörtert werden. Dabei ist auch Transparenz über weitere Planungen herzustellen, die in unmit­tel­barem Umgriff zum Gebiet des Ideenwettbewerbs in Vorbereitung sind und zu dem genannten Umfang noch hinzukommen würden.

Sollte dies bis in den Herbst hinein Corona bedingt nicht mög­lich sein, ist die Befassung des Stadtrats zu ver­schieben.“[/alert-note]