Vor knapp drei Monaten hatte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) nachdrücklich versichert, dass noch in diesem Winter die Stadtwerke (SWM) das Heizkraftwerk Nord (Block 2) auf Flur der Gemeinde Unterföhring von Kohle auf Erdgas umstellen werden, um den Co2-Ausstoß auf Grundlage des Bürgerbegehrens von 2017 zu senken. Doch daraus wird angesichts des Angriffs­kriegs von Russland auf die Ukraine nichts: Der Stadtrat hat auf Empfehlung der SWM und auf Antrag der CSU-Fraktion im Rathaus beschlossen, dass noch mindestens ein Jahr länger als geplant, also bis zum Winter 2023, Kohle verbrannt wird.

Laut SWM ist der Block 2 laut Bundesnetzagentur stromseitig systemrelevant und kann nicht er­satzlos abgeschaltet werden. Zudem ist der Betrieb des HKW Nord für die zuverlässige Fernwärme­versorgung in München unverzichtbar. Doch durch russischen Angriffskrieg sei eine künftige ver­lässliche Versorgung mit Erdgas fraglich, ja mit großen Risiken behaftet. Daher müsse man den Zeitplan der Umstellung von Kohle auf Erdgas überprüfen. Vier Alternativszenarien wurden un­tersucht: Weiterbetrieb, Umstellung von Kohle auf Gas zur Heizperiode 2022 / 23 oder 2023 / 24 oder 2024 / 25. Die Variante 2022 / 23 wurde nun im Rathaus beschlossen.

Gleichwohl bleibt München wohl noch lange Zeit von der Russland-Kohle abhängig, auch wenn ak­tuell Liefermöglichkeiten aus anderen Ländern geprüft werden. Etwa die Hälfte der benötigten Steinkohle kommt aus dem Putin-Imperium, die anderen 50 Prozent aus den USA. Dafür werden täglich zwei bis drei lange Güterzüge benötigt.

Zur Verdeutlichung: Rund 800 000 Tonnen Steinkohle pro Jahr, also etwa 2400 Tonnen am Tag oder circa 100 Tonnen pro Stunde werden verbrannt. Schlicht irre, auch wenn dadurch Elektrizität sowie Fernwärme für rund 150 000 Haushalte erzeugt wird.

Blick auf das Heizkraftwerk Nord von der Effnerstraße aus: Rauch wird noch mindestens ein Jahr Bogenhausen vernebeln.    Foto: ikb

Wie modern und aufwendig die Reinigung, das Filtern der Abgase aus den drei, 130 Meter hohen Schornsteinen im Kraftwerk – in den Blöcken I und III werden seit 1992 bzw. 1983 jährlich bis zu 700 000 Tonnen Restmüll verbrannt – auch ist oder sein mag: „Das HKW Nord ist“, wie es ein Bogenhauser Lokalpolitiker einmal drastisch formuliert hat, „Münchens größte Dreckschleuder“. Denn das HKW verschmutzt die Luft stärker als der gesamte Münchner Straßenverkehr – die Co2-Emissionen betragen laut Experten bis zu zwei Millionen Tonnen. Pro Jahr, wohlgemerkt! Dazu kommen – nebenbei – noch jährliche hochgiftige Quecksilber-Emissionen von rund 70 Kilogramm.

Übrigens: Die Entscheidung im Stadtrat erfolgte am Dienstag, 15. März. Am selben Tag, ab 19.30 Uhr, hat der Bezirksausschuss getagt. Als Nachtrag (!) lag da ein „Dringlichkeitsantrag“ der Grünen „Energieunabhängigkeit von Russland: Steinkohleimport für HKW Nord stoppen“ auf dem Tisch. Es sollten „andere Bezugsquellen genutzt und eine Verlängerung der Laufzeit des Kohleblocks sollte so kurz wie möglich gehalten werden.“ Gleichwohl mit Angelika Pilz-Strasser eine Grüne mit Sitz im Stadtrat im Kommunalparlament vertreten war, wurde das Ansinnen nicht zurückgezogen. Unver­ständlich!

„Ich kann das alles unterschreiben“, erklärte CSU-Landtagsabgeordneter Robert Brannekämper, der einst an vorderster Stelle beim Begehren „Raus aus der Steinkohle“ gestanden hat, zu den Begründungen des Antrags. „Aber trotz größter Sympathie kann ich dem Antrag nicht zustimmen, weil er nicht dringlich ist.“ Weil er eben im Stadtrat bereits entschieden worden ist. Folge: Ableh­nung des Dringlichkeitsantrags mit 17 gegen 13 Stimmen. Und somit Nichtbehandlung des Schau­fensterantrags.