13. Dezember 2021
SEM Nordost: „Erster Bezug 2035 möglich“
Hammeraussagen von Michael Bacherl, Architekt im Planungsreferat der Stadt München, beim „Digitalen Bürgerdialog zum Münchner Osten“, der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme, kurz, der SEM Nordost: „Im März steht der Beschluss des Stadtrats an zu unserem Vorschlag Wohnraum für 30 000 Einwohner und 10 000 Arbeitsplätze zu schaffen. 2026 ist der Beginn der Bauleitplanung vorgesehen; erfahrungsgemäß dauert es circa fünf Jahre bis der Bebauungsplan steht. Ab 2030 / 31 könnten die ersten Baumaßnahmen erfolgen, ab 2035 wären dann die ersten Einzüge möglich.“
Bei alldem sind immer noch zwei Grundsatzfragen ungeklärt, gibt es bislang keine Entscheidung, obwohl seit Jahren darüber diskutiert und verhandelt wird. Nämlich die Verlegung der Trasse für Güterzüge und S-Bahn in einen Tunnel. Und die Fragen zu den Grundstücken, die sich bis dato zu etwa 75 Prozent in privater Hand befinden? Dazu gab es (wieder) nur mehr oder minder schwammige Erklärungen, die gleichwohl aufhorchen lassen.
Es ist zum Verzweifeln. Anerkennen es die Verantwortlichen der Stadt – und hier ist in erster Linie SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter in der Pflicht – eigentlich nie: Von dem rund 600 Hektar großen Gebiet, eingerahmt von der Trasse der S-Bahnlinie 8 zwischen Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen, von den Grenzen zu den Landkreis-München-Gemeinden Unterföhring und Aschheim sowie dem Lebermoosweg (ehemalige Gütergleis-Trasse) und der Riemer Straße – besitzen die Stadt und der Freistaat rund ein Viertel. Drei Viertel teilen fast 400 private Grundstücksbesitzer unter sich auf. „Über deren Grund wird einfach so verfügt“, ärgerte sich unlängst ein Bürger.
Kurzum: Für die Umsetzung jeglicher Planung fehlt die Grundlage. Trotzdem wird geplant, wird an allen Fronten mehr oder minder „gebastelt“.
So sollen gemäß Bacherl in seinem >Impulsvortrag< „lebendige, bunte, soziale Quartiere entstehen mit viel Platz für Radfahrer und Fußgänger.“ Wie das zentrale Quartier aussehen könnte, dazu präsentierte der Referatsvertreter eine Visualisierung des Siegerentwurfs für die SEM vom Büro Rheinflügel Severin für die Variante mit 20 000 Bewohnern (entsprechend etwa 7100 Wohnungen) mit Gebäudeklötzen um den geplanten See – ein neues Perlach. Eine Visualisierung für das von vornherein angestrebte Ziel „30 000 Einwohner“ – etwa 10 600 Wohneinheiten – gibt’s offensichtlich nicht … Wie das dann anschauen könnte – man mag’s sich nicht vorstellen!
Beim mit „Kooperatives Verfahren im Rahmen der SEM“ überschriebenen Dialog erklärte Bacherl zum Punkt >Grundlagenarbeit<: „Wir schnitzen uns ein Entwicklungsgebiet.“ Beim Punkt >Mitwirkungsbereitschaft< steht gemäß Ausführungen der Ausbau der Kommunikation mit den Grundstückseigentümern an, es werde eine Ombudsstelle sowie ein Projektbeirat eingerichtet. Dazu gab es ein Schaubild des vorgesehenen zentralen Quartiers mit einer Blase samt Telefonnummer und E-Mail-Adresse.
Apropos Kommunikation mit den Grundstücksbesitzern. Dazu gab es Ende November einen „Eigentümer-Dialog“ – „dabei waren“, so Referatsjurist Jonas Kopperger, „50 Eigentümer“. Also ein wenig mehr als zehn Prozent der rund 450 Grundstücksbesitzer. Nun denn.
Stadtdirektor Michael Hardy, Leiter Stadtplanung, versicherte dass die Variante mit 30 000 Einwohnern „umsetzbar ist, das muss der Stadtrat dann im März entscheiden“, dass alles in Stufen gemacht werde („30 000 Einwohner fallen nicht auf einmal vom Himmel“ – die Entwicklung sieht acht Abschnitte vor), dass besagte 10 000 Arbeitsplätze für die Versorgung des Gebiets vorgesehen sind, dass keine großen Konzerne angesiedelt werden. Und: „Kleine Stadtvillen, Einfamilienhäuser, können wir uns bei der Wohnungsnot in München nicht leisten, denn laut Sozialreferat suchen 13 000 bis 14 000 Bürger nach einer Wohnung“ Weiter erklärte er: „Die Stadt hat nicht vor, Flächen großzügig zu enteignen. Wenn uns für die Trasse der U-Bahn ein Grundstück fehlt, ja dann…“
Zum Verkehr. Christine Weiss-Hiller vom Planungsreferat zur Erschließung: Das Gebiet soll Auto arm erschlossen werden. Die Infrastruktur soll so konzipiert werden, dass innerhalb des Quartiers vieles möglich ist. Erste Untersuchungen – Autoverkehr, Tram und U-Bahn – laufen, Detailfestlegungen erfolgen später. Es wird keine neue Autotrasse in Richtung Aschheim geben und keinen >Durchschuss< zum Schatzbogen.
In Sachen Tieferlegung des Bahnverkehrs (Weiss-Hiller: „Das ist das Ziel der Stadt“) und Verknüpfung von U- und S-Bahn in Engelschalking samt Weiterführung der U-Bahn bohrte Daniela Vogt, Vorsitzende des Bündnisses NordOst, nach. Die Antworten von Weiss-Hiller: Für die Verknüpfung suchen wir Lösungsmöglichkeiten. Wir können nicht garantieren, wie schnell die U-Bahn zur Verfügung steht. Man muss berücksichtigen, dass sich das Quartier nach und nach entwickelt.
Und zum Tunnel: Falls die Bahntrasse oberirdisch geführt wird, „wird es Brücken und / oder Unterquerungen geben.“ Aha. Zur Verlängerung der Englschalkinger Straße zum S-Bahnhof erklärte sie: „Dazu kann ich nichts sagen.“ Aber: „Auf attraktive Radwegverbindungen legen wir großen Wert, die stehen ganz besonders im Fokus.“
Vogt verwies auf die Beschlüsse des Stadtrats, dass ein Tunnel für den Bahnverkehr Bedingung für die Bebauung im Nordosten ist. Lapidarer Verweis seitens der Referatsvertreter: Der Freistaat und die Deutsche Bundesbahn planen und entscheiden, stehen in Abstimmung; momentan gebe es noch keine Ergebnisse.
Beim Aspekt Grünplanung überraschte Bacherl mit der Aussage: „Die Stadtgüter München besitzen im SEM-Gebiet Grundstücke, die einen Tausch erlauben.“ Nähere Angaben? Fehlanzeige! Vogt fragte nach, warum man das Gutachten vom Bund Naturschutz, nicht mehr als 10 000 Einwohner zu planen, nicht berücksichtigt. Denn man plant dem genau entgegen. Antwort: keine!
Petra Knauer vom Referat zu möglichen Auswirkungen auf den Grundwasserspiegel: Das haben wir im Fokus, wir wissen relativ gut Bescheid. Auswirkungen der Bebauung müssen untersucht werden, dazu brauchen wir die detaillierten Planungsangaben.
Wie wird die Stadt mit den Grundstückseigentümern umgehen? Dazu Kopperger: „Die Stadt wird auf sie zu gehen, wird mit ihnen Gespräche führen und die Pläne erläutern. Wir hoffen, dass es ab 2023 / 24 konkrete Vereinbarungen gibt. Wer nicht verkaufen will – dann prüft die Stad, ob das Grundstück benötigt wird. Wir sind optimistisch, dass wir zu Lösungen kommen werden.“
An dieser Stelle hakte Hardy ein: „Wir können dabei planerisch reagieren wir haben viele Möglichkeiten. Wenn die eine oder andere heutige Nutzung wie Landwirtschaft bestehen bleibt, ist das gar nicht so schlimm. Wir haben noch einen extrem langen Planungsprozess vor uns.“ Es sei letztendlich eine politische Entscheidung angesichts des großen Wohnungsbedarfs. Man will mit den Bürgern und den Vertretern der Bezirksausschüsse Bogenhausen und Trudering-Riem über alles reden – „hoffentlich in Präsenz.“ Wie seit Jahren gilt: Schau mer mal!