Bereichern Wolkenkratzer die Stadtsilhouette, bringen sie Entlastung auf dem Immobilienmarkt oder verschandeln sie Perspektiven, ja München? Vor fast 20 Jahren wurde via Bürgerbegehren die maximale Höhe auf 100 Meter festgesetzt; sie ist bis dato eingefroren Auf dem Areal an der ehemaligen Paketposthalle in Neuhausen, an der Friedenheimer Brücke, sind nun zwei 155 Meter hohe Türme (und zwei „kleinere“ Hochhäuser)) geplant. „Braucht München Hoch­häuser?“ Eine Podiumsdiskussion der Süddeutschen Zeitung – moderiert von den München-, Region- und Bayern-Ressortleitern Ulrike Heidenreich und René Hofmann – mit:

Robert Brannekämper CSU-Landtagsabgeordneter und Initiator des zweiten Bürgerbegehrens („Hochhausstopp“), sammelt dafür Unterschriften, Architekt, vor dessen Bogenhauser Büro sich unweit der 114-Meter-Hypobank-Turm befindet, der erste Bau mit mehr als 100 Meter Höhe in Mün­chen; neben dem Banktower entsteht der 100-Meter-Bürosilo der Bayerischen Versorgungskammer / BVK).

Ralf Büschl, Chef der Unternehmensgruppe Büschl, einem der größten Projektentwickler in Deutschland. Er hat Rechtswissenschaft studiert. 2010 hat er die Gesellschaftsanteile des Fa­milienunternehmens übernommen.

• Elisabeth Merk, seit 2007 Münchens Stadtbaurätin, Leiterin des Referats für Stadtplanung und Bauordnung. Merk hat an der Fachhochschule Regensburg ein Architekturstudium absol­viert, ihr Staatsexamen legte sie an der Universität Florenz ab.

• Karin Schmid, Architektin und Stadtplanerin. Ihr Büro „03 Arch. „verfasst für die Stadt eine neue Hochhausstudie. Seit 2016 ist sie Professorin für Städtebau und Gebäudelehre an der Hochschule München.

Wumms der Stadtbaurätin Elisabeth Merk • Ich hätte die Fläche im Nordosten (Anm. d. Red.: jenseits der Bahntrasse entlang von Daglfing, Englschalking und Johhanneskirchen zum Flughafen; die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme; SEM) lieber nicht bebaut, eher in Richtung Garching, im Anschluss an die Bahnachse! Ihr Hintergrund: die – im Gegensatz zur SEM – vorhandene ver­kehrliche Erschließung mit U-Bahn, Nürnberger Autobahn und Freisinger Landstraße.

Das Fazit • Steckte im Einleitungssatz (!) von Moderatorin Ulrike Heidenreich: Das SZ-Gebäude wurde mit 145 Meter Höhe geplant, musste nach dem Bürgerentscheid umgeplant werden, ist jetzt genau 99,95 Meter hoch. „Ein Beispiel, was passieren kann, wenn man dem Himmel zu nahekommt …“ Denn: Die Türme wären (so Hofmann) die höchsten Gebäude der Stadt, mit 1100 Wohnungen und 3000 Arbeitsplätzen.

Rund 200 Besucher kamen zur Podiumsdiskussion „Braucht München Hochhäuser?“ der Süddeutschen Zeitung. Fragen aus dem Publikum gab’s keine.   Foto: hgb

Statements Robert Brannekämper

• Ja, ich war früher, heute nicht, schon mal im 26. Stock des SZ-Towers. Meine Eindrücke waren eher verhalten. Wer den Ausblick hat – schön. Wer den Anblick hat, der… Hochhäuser sind Parasi­ten. Andere haben die Nachteile.

• Ich war gerade in New York. Die Mieten dort sind extrem hoch, der Verkehr ist irre. Gott sei Dank wohne ich nicht dort. Ich war wieder froh, in München zu sein. Bei den beiden geplanten Hochhäu­sern wird es nicht bleiben, es kommen in Zukunft noch viele dazu. Der nächste Investor kommt und sagt, Büschl durfte doch auch so hoch bauen. So läuft es nach der bisherigen Praxis, seit Jahren.

• Wir haben schon 18 000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren. Bis zum Frühjahr 2023 werden wir die notwendigen 30 000 Unterschriften zusammen haben. Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal das Erbe von Alt-OB Kronawitter verteidigen muss. Die Münchner müssen entscheiden, müssen das letzte Wort haben. Diese Entscheidung kann man doch nicht einfach vorwegnehmen.

• Wem am Klimaschutz und an Ressourcen liegt, der braucht nicht an Hochhäuser zu denken.

• Frage: Wem gehören die Flächen in Neuhausen, wer hat welche Anteile, mit wem verhandeln wir? Es geht doch auch um Vertrauen in den Investor. – Dazu Ralf Büschl: „Das geht weder Sie noch die breite Öffentlichkeit etwas an. Das Grundstück gehört der Büschl Unternehmensgruppe und der Familie Adenauer.“ (Anm. d. Red: Sitz des Konzerns ist in Grünwald; der Stellvertretende Vorsitzen­de des Beirats ist Patrick Adenauer, sein Großvater ist Konrad Adenauer, der ehemalige Bundes­kanzler.

Statements Elisabeth Merk

• Als Stadtbaurätin habe ich immer Sorgen. In den vergangenen 15 Jahren wurden in München kei­ne nennenswerten Hochhäuser gebaut. Der Stadtrat lässt sich beim Bauen nicht treiben, er hat die Planungshoheit. Wir werden jeden Einzelfall prüfen. Die bildlichen Darstellungen von Herrn Branne­kämper sind schlichtweg falsch. Man muss das differenzierter sehen. Wir haben die Hochhausstu­die aus Sorge gemacht. Wir wollen nicht die viel zitierte Hochhausstadt werden. München braucht keine Hochhäuser um jeden Preis.

• Das Instrument Bürgerentscheid ist wichtig. De facto haben 2004 zehn Prozent der Wahlberechti­gten über die Höhe von Gebäuden entschieden. Wir halten uns an etwas, was nicht die gesamte Stadtbevölkerung abbildet. Wir haben zu dem Projekt ein Aufstellungsbeschluss, es besteht kein Baurecht.

• Bei Bauprojekten bin ich Kraft meines Amts die Bedenkenträgerin Nummer eins. Das Areal in Neuhausen ist bestens erschlossen. Durch das Projekt wird das Klima geschont, was anderes wo nicht so der Fall ist.

• Es gilt, mit dem was man hat, vernünftig umzugehen. Es gilt, bei Hochhäusern genau hin zu schauen. In Sachen Denkmalschutz bin ich ja Seite an Seite mit Ihnen Herrn Brannekämper. Ver­träge und Konstrukte machen, die halten. Wir dürfen es Juristen nicht überlassen, wie es aus­schauen wird. (Anm. d. Red.: der Denkmalschutz betrifft die Paketposthalle; Büschl ist Jurist).

• Die Sichtachsenfrage nehmen wir sehr ernst wegen der Sündenfälle der Vergangenheit. Am Vogelweideplatz ist es uns gut gelungen. Ich war im Schloss Nymphenburg. Aus dortiger Sicht gibt es zwei, drei Gebäude, die man sieht, die aber nicht so hoch sind. Scheibenhäuser wirken stärker.

• Die Paketposthalle inspiriert. Geht da auch Grün rein? Darüber reden wir im Februar bei einem Bürgerworkshop. Auch über die Nutzung des Untergeschosses.

SZ-Podiumsdiskussion „Braucht München Hochhäuser?“ mit (v. li.): Moderatorin Ulrike Heidenreich, Robert Brannekämper (CSU-Landtagsabgeordneter), Elisabeth Merk (Stadtbaurätin), Ralf Büschl (Chef des Projektentwicklers Büschl), Karin Schmid (Architektin und Stadtplanerin) und Moderator René Hofmann.   Foto: hgb

Statements Ralf Büschl

• Ich kann die Bedenken von Herrn Brannekämper nicht teilen. München ist nicht New York. Mün­chen bleibt in der Innenstadt so erhalten, wie wir’s lieben. Außen Hochhäuser muss möglich sein, das was man sieht muss rund sein.

• Die Frauenkirche oder das Olympiagelände wären nie gebaut worden, wenn es damals die glei­chen Diskussionen gegeben hätte. Ich will der Stadt ein neues Quartier geben, ein extrem nachhal­tiges Quartier schaffen. Das Grundstück ist jetzt komplett versiegelt. Es wird entsiegelt, Grünflächen geschaffen. Wir bauen zwei Hochhäuser, die auch eine vertikale Stadt abbilden. Es muss Wohnen für Wohlhabende geben, aber auch für Menschen, die sich nicht so viel leisten können.

• Das Verfahren ist fast einstimmig beschlossen worden. Wir halten uns daran. Auch der Bezirks­ausschuss ist für das Projekt, das eine Chance ist, das München etwas bedeutet. Ich sehe einer Abstimmung bei einem eventuellen Bürgerbegehren völlig entspannt entgegen.

• Hochhäuser kann man heute nachhaltig bauen. Es geht um das gesamte Quartier, nicht nur um die zwei Hochhäuser. Wir schaffen mehr Freiraum. Die Bürger können auch nach oben in den Biergarten kommen, um den Blick zu genießen.

• Wir hoffen, dass der Stadtrat in den nächsten Tagen ein Signal gibt, dass es weitergehen kann. Mit 60 Meter hohen Gebäuden würden wir uns wesentlich leichter tun, das wäre sogar wirtschaft­licher.

• München braucht die SobBoN dringend. Wir werden diese Vorgaben übererfüllen, gehen von 40 auf 50 Prozent, unterwerfen uns einer Selbstbeschränkung. (Erklärung d. Red.: Die Sozialgerechte Bodennutzung, SoBoN, ist ein Instrument im Münchner Wohnungsbau. Sie wird bei allen Bebau­ungsplänen angewendet, die Kosten und Lasten auslösen und zu einer deutlichen Bodenwertstei­gerung für die planungsbegünstigten Eigentümer führen. Mit einem Baukastenmodell wurde die SoBoN im Juli 2021 fortgeschrieben).

• Die Paketposthalle könnte man über den Marienhof stülpen. Sie ist ein Denkmal, das noch von der Post genutzt wird, das zerfällt. Wir investieren einen dreistelligen Millionenbetrag, um die Halle zum Leben zu erwecken. Das Erdgeschoss ist rund 19 000 Quadratmeter groß. Im Untergeschoss pla­nen wir einen großen Konzertsaal, den wir selbst betreiben wollen.

Statements Karin Schmid

• New York ist das Gegenbeispiel zu München. Dort gibt es eine unkontrollierte Entwicklung. Ich will, dass München gestaltbar bleibt, dass hohe Häuser gut gestaltet werden. München kann sich nicht nach außen entwickeln, weil die Fläche fehlt.

• Gebäude unter 60 Meter Höhe sind ökologisch einfacher zu bauen, weil die Erschließung besser ist. Hochhäuser in alten Siedlungen erhalten den Grünraum.

Schlussfrage der Moderatoren: Stellen Sie sich das Jahr 2050 vor – was wollen Sie dann sehen?

Schmid: Eine grüne Stadt, wenig Hochhäuser.

Brannekämper: Auf dem Gelände der Paketposthalle vier Häuser mit maximal 60 Meter Höhe.

Büschl: Oben im Biergarten mit Herrn Brannekämper sitzen, um zu sagen, toll, was wir geleistet haben, und aufs Nymphenburger Schloss schauen zu können.

Merk: Toll, dass die Stadt so grün geblieben und eine gute Architektur entstanden ist.