Jetzt geht’s ums Ganze: Kann der Bau der Tram Johanneskirchen ab der Cosima- entlang der Johanneskirchner Straße zum S-Bahnhof – 700 Meter lang, Kosten knapp 60 Millionen Euro, ein Meter Straßenbahn verschlingt also etwa 85 000 Euro, Fällung von 149 Bäumen, Fußweg ab der Endstation zum S-Bahnhof etwa 160 Meter statt wie bisher ab der Bushaltestelle rund 25 Meter, mindestens 5000 Anwohner wären von Lärm und von hunderten, wegfallenden Parkplätzen am Straßenrand betroffen – in letzter Minute, ja in letzter Sekunde, noch gestoppt werden?
Robert Brannekämper, CSU-Landtagsabgeordneter und Fraktionssprecher im Bezirksausschuss, hat am Donnerstag, 28. September, Konrad Schober, Präsident der Regierung von Oberbayern, eingeschaltet (siehe Brieftext in Auszügen nach dem Sternzeichen), um das „irre Vorhaben“ zu stoppen.
Denn, so die Stadtwerke München (SWM): „Vorbereitende Maßnahmen für den Gleisausbau (Hauptmaßnahme), Gas-, Wasser-, Strom- und Wärmefernwärmeleitungen werden umverlegt und gleichzeitig werden Leitungen, die nicht in ihrer Lage verändert werden müssen, erneuert“, haben am vergangenen Montag, 25. September, begonnen. Dazu wurden zuerst Straßenleuchten umverlegt und Bordsteine ausgebaut. Verbunden damit sind Halteverbote. Und: Ab Montag, 2. Oktober, sollen die ersten Bäume gefällt werden!
Klartext von Brannekämper: „Der Abschnitt stößt aufgrund vieler Kritikpunkte bei den Betroffenen Anwohnern auf Widerstand. Neben den geplanten zahlreichen Baumfällungen, was sofort gestoppt werden muss, dem zweifelhaften verkehrlichen Nutzen und den hohen Kosten ist die zu erwartende Lärmbelästigung ein Hauptkritikpunkt der Bürger. Nun zeigt sich, dass wesentliche Aspekte bei den Lärmberechnungen durch die SWM nicht berücksichtigt wurden. Ist das Planfeststellungsverfahren deshalb fehlerhaft?
Und weiter: „60 Millionen Euro – das ist eine gewaltige Summe. Steuermillionen würden ohne Sinn und Verstand rausgeknallt. Kaum zu glauben: der Mehrwert für die Nutzer würde verschlechtert, der Weg zum S-Bahnhof wäre sechs Mal so weit. 149 Bäume bei den Hitzeproblemen in München zu fällen – das kann nicht sein. Das Ganze ist einfach irre, nicht zu Ende gedacht, ein Katastrophenplan der Stadt. Eine Straßenbahn würde ins Gebiet der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) gar nicht rüberkommen, dazu müsste ein Tunnel gebaut werden.“
Benno Ziegler, Fachanwalt für Bau und Architektenrecht, der die Interessen von rund 150 Wohnungseigentümern vertritt, erklärte: „Ich erwarte, dass sich die Entscheidungsträger an die Gesetze halten. Die Regierung von Oberbayern darf die Planfeststellung nicht genehmigen.
Seine drei wesentlichen Punkte dazu: Einmal fehlt das Verkehrsbedürfnis. Die Auslastung der Busse zweier Linien zum S-Bahnhof beträgt nämlich höchstens 50 Prozent. Zweitens müssen beim Bau und für den Betrieb von Straßenbahnen Vorgaben berücksichtigt werden. Dazu gehört, dass bestehende Geräuschbelastungen addiert werden müssen. Schon heute ist es in der Umgebung gigantisch laut. Kommt der Tramlärm hinzu, ist das gesundheitsgefährdend. Wenn ich keine Genehmigung habe, darf ich nicht einfach anfangen, dürfen keine Vorabmaßnahmen erfolgen, darf man keine Bäume fällen. Und drittens erwarte ich von den SWM, dass sie Respekt vor den Gesetzen haben und nicht einfach Fakten schaffen. Das finde ich unerträglich. Ich hoffe auf ein Einlenken.“
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MdL Robert Brannekämper in seinem Schreiben an Konrad Schober, Präsident der Regierung von Oberbayern (Auszüge):
Es stellen sich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Antragsunterlagen. Noch vor einer Entscheidung der Regierung von Oberbayern versucht die Landeshauptstadt vollendete Tatsachen zu schaffen. Hier bitte ich Sie dringend um Ihr Einschreiten.
Der Sachverständige Gerhard Steger (Anm. d. Red.: siehe Text nach dem Sternzeichen) kommt zu dem Ergebnis, dass im Fall der Genehmigung der Trambahn >die Lärmrichtwerte nicht eingehalten werden und darüber hinaus auch die Schwellen der Gesundheitsgefährdung erheblich überschritten werden.< Insbesondere geht demnach die von den Stadtwerken München beauftragte schalltechnische Untersuchung fälschlicher Weise davon aus, dass für die Wohngebäude an der Freischützstraße keine relevante Geräuschvorbelastung vorhanden sei. Aufgrund der nur rund 50 Meter entfernten Bahntrasse sei die Geräuschvorbelastung aber erheblich.
Unabhängig davon bestehen ernstliche Zweifel am Verkehrsbedürfnis, denn schon heute besteht eine optimale ÖPNV-Anbindung am Bahnhof Johanneskirchen. Die in keinster Weise ausgelasteten Busse halten heute unmittelbar am S-Bahnhof. Bei Umsetzung der Planung würden sich weit über 100 Meter längere Fußwege zum S-Bahnhof ergeben. Heute sind es etwa 25 Meter, in Zukunft etwa 160 Meter. Durch den Bau der Straßenbahn würde das heute günstige Umsteigen am Bahnhof Johanneskirchen von der S-Bahn in die Verkehrsmittel der MVG durch die Schaffung deutlich längerer Wege erschwert.
All dies kann im Planfeststellungsverfahren diskutiert werden. Die Stadtwerke werden jedoch nach eigener Ankündigung Anfang nächster Woche damit beginnen, die Sparten zu verlegen und unter der Baumschutzverordnung stehende Bäume zu fällen. Dabei handelt es sich um Vorabmaßnah- men, die Gegenstand des Planfeststellungsverfahrens sind. Im Bauwerksverzeichnis und im landschaftspflegerischen Begleitplan sind die Maßnahmen aufgeführt und damit Gegenstand der Planfeststellung.
Der tatsächliche Vollzug von Maßnahmen, die Gegenstand des Planfeststellungsantrags sind, ist erst zulässig, wenn ein vollziehbarer Planfeststellungsbeschluss vorliegt (vgl. BVerwG vom 09.02.2012, Az. 9 VR 2/12).
Die Angelegenheit ist nicht zuletzt deshalb besonders ärgerlich, da für eine Straßenbahnstrecke von 700 Meter knapp 60 Millionen Euro veranschlagt sind und die Antragsunterlagen unzulässig sind. Ein Meter Straßenbahntrasse soll circa 85.000 Euro kosten – eigentlich ein Fall für Rechnungshof und den Bund der Steuerzahler. Damit nicht vollendete Tatsachen ab dem 1. Oktober 2023 geschaffen werden, bitte ich Sie als zuständige Rechtsaufsichts- und Genehmigungsbehörde um Prüfung und um Ihr unverzügliches Einschreiten!“
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Ziegler präsentierte „die Stellungnahme des vereidigten Sachverständigen Steger zur unterlassenen Berücksichtigung des Lärms der Bahn in den Antragsunterlagen der Stadtwerke“. Und zwar betreffend der Freischützstraße 82 bis 84a und 88 bis 90. Bearbeitete Auszüge:
In der schalltechnischen Untersuchung wurden die Geräuschimmissionen ohne sowie mit der Neubaustrecke ermittelt. An den Nordfassaden Freischützstraße 84 werden Gesamtbeurteilungspegel (Tram- plus Bustrasse) von circa 65 dB(A) tags und 65 dB(A) nachts ermittelt. Es wurde für den Tag kein Anspruch auf Schallschutz, aber für die Nacht ein Anspruch festgestellt. In der Nachtzeit wurde die Schwelle der Gesundheitsgefährdung von 60 dB(A) um bis zu 5 dB(A) überschritten ist.
An der Ostfassade Freischützstraße 82b wurde tags keine Überschreitung des Grenzwerts festgestellt. Lediglich nachts wurde eine Überschreitung des Grenzwerts von circa 5 dB ermittelt und daraus auch wieder nur der Anspruch auf Schallschutz bei Schlafräumen festgestellt. Eine Gesundheitsgefährdung (70/60 dB(A) wurde weder tags noch nachts erreicht oder überschritten. Die Untersuchung geht davon aus, dass an diesen Gebäuden eine relevante Geräuschvorbelastung derzeit nicht vorhanden ist. Dies erstaunt und ist nicht nachvollziehbar, da sich nur 50 Meter weiter die S-Bahnstation befindet und auf dieser Trasse ferner nahezu der gesamte Güterverkehr zwischen München und Italien (Brenner-Zulaufstrecke) abgewickelt wird. Diese erhebliche Geräuschvorbelastung wurde im Schallgutachten und, soweit ersichtlich, auch in den weiteren Planfeststellungsunterlagen nicht thematisiert.
Fazit: Die Immissionsgrenzwerte werden nicht eingehalten und auch die Schwellen der Gesundheitsgefährdung werden erheblich überschritten.