Schaut man sich in München und in Stadtrandgemeinden einmal ein wenig um und betrachtet Wohn- und Büroquartiere, die vor Jahrzehnten entstanden sind oder die sich aktuell noch im Bau befinden, dann kann einem angst und bange werden. Angst und bange in Bezug auf Bogenhausen, auf die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Nordosten. Die Pläne der Stadt sehen dort auf mehr als 600 Hektar Wohnraum für 30 000 Menschen und 10 000 Arbeitsplätze vor.
Die CSU-Fraktion im Bezirksausschuss forderte daher bei der September-Tagung kurz und bündig.: „Wettbewerbsergebnis überarbeiten: durchgrünter Stadtteil statt Hitzecanyons in der SEM-Trabantenstadt.“ Robert Brannekämper, Landtagsabgeordneter und CSU-Fraktionssprecher, präsentierte dazu Schwarz-Weiß-Visualisierungen, wie die „große Stadtlösung“ aussehen könnte, forderte erneut, dass Wohnraum für 10 000 bis maximal 15 000 genug seien, erklärte ohne Umschweife: „Die Dichte muss um zwei Schritte reduziert werden.“ Doch der Antrag wurde mit 15 gegen 14 Stimmen von CSU, ÖDP und Freie Wähler abgelehnt.
Zu den irrsinnigen Vorstellungen und Vorgaben des Planungsreferats muss man wissen: Von den besagten mehr als 600 Hektar sind 450 Hektar in Privatbesitz (350 Flurstücke, 525 Eigentümer), der Stadt und dem Freistaat Bayern gehören rund 150 Hektar (250 Flurstücke). In etwa die Hälfte der Fläche soll Baugrund werden – inklusive Badesee sowie U- und Straßenbahn. Rund 300 Hektar sollen weiterhin für Landwirtschaft, als ökologische Ausgleichsfläche und für den Pferdesport zur Verfügung stehen.
Selbst wenn wider Erwarten nur Teile der 525 Eigentümer befreit wären, einige der 350 Flurstücke zu verkaufen: Wie will die stark verschuldete Stadt eigentlich die Arealkäufe finanzieren? Zumal ihr Anteil (!) an der geforderten Verlegung der Bahnstrecke durch Bogenhausen von und zum Flughafen in einen Tunnel weit mehr als eine Milliarde Euro verschlingt. Schon ein Kind, das pfleglich mit seinem Taschengeld umgeht, kann erkennen, dass das nicht zusammenpasst, ich einfach nicht rechnet. In welcher (Finanz-)Welt lebt eigentlich die grün-rote Stadtregierung? Kapiert das nicht einmal deren Chef, Oberbürgermeister Dieter Reiter?
Zurück (1.) zum CSU-Antrag: „Der Bezirksausschuss fordert das Planungsreferat auf, das Ergebnis des städtebaulichen Wettbewerbs Nordost zu überarbeiten. Ziel muss sein ein durchgrünter und familiengerechter Stadtteil sowie eine deutliche Reduzierung der geplanten Versiegelungen. Schlecht durchlüftete Hitzeinseln auf Straßen und Plätzen sowie Hitzecanyons zwischen Hochhaustürmen sind unbedingt zu vermeiden. Das kann nur mit einer deutlichen Reduktion der Dichten auf 10 000 bis maximal 15 000 neue Einwohner erfolgen.“
Zur Begründung wird ausgeführt: „Aktuell plant die Stadt gemäß Vorgabe der grün-roten Rathausmehrheit eine Mega-Trabantenstadt für 40 000 Menschen. Das Ergebnis des städtebaulichen Wettbewerbs und aktuelle Visualisierungen zeigen deutlich, dass aufgrund der hohen Dichte und der damit verbundenen Versiegelung kein ausreichend durchgrünter Stadtteil entstehen kann. Vielmehr ist zu erwarten, dass sich in den Gebäudeschluchten schlecht durchlüftete Hitzecanyons und Hitzeinseln bilden.
Für München, das 2019 den Klimanotstand ausgerufen hat, ist es völlig abwegig, eine solche Planung in dieser Dimension weiter voranzutreiben. Deshalb muss das Wettbewerbsergebnis überarbeitet werden auf Grundlage einer Zielzahl von 10 000 bis maximal 15 000 neuen Einwohnern, wie sie Stadtbaurat Prof. Uli Zech (SPD) Anfang der neunziger Jahre schon wegweisend indiziert hat.“
Zurück (2.) zu „angst und bange“ hinsichtlich der SEM Nordost: Stadtplanungsbeispiele, die keine Vorbilder für die heutige Zeit sind – die Optik kann man unter den nachfolgend fett gedruckten Quartieren sehen:
• Parkstadt Bogenhausen • Hier versuchten die Architekten ab 1954 auf dem ehemaligen „Führergelände“ („Ruhesitz“) die „Gebäude zu einer Einheit zu verschmelzen“. Rund 2000 Wohnungen und mehr als 100 Eigenheime für etwa 6000 Menschen wurden gebaut – die erste Großwohnanlage Bayerns nach dem Zweiten Weltkrieg. Trotz bis zu 15 Stockwerken hohen Türmen lässt’s in dem zentralen Quartier, das sich im Lauf der Jahrzehnte infrastrukturell entwickelt hat, gut leben.
• Hasenbergl (Feldmoching) • Ab 1960 entstand die weitgehend mit öffentlichen Mitteln geförderte Siedlung. Besser als sein Ruf – es gibt wohl kaum einen Münchner Stadtteil, auf den dies mehr zutrifft als auf das Hasenbergl. Nämlich lange als „sozialer Brennpunkt“ diskreditiert, ist es in den vergangenen Jahren zu einem beliebten Wohnviertel (weit mehr als 30 000 Einwohner) geworden. Das liegt nicht zuletzt an den nahen Erholungsmöglichkeiten wie der Panzerwiese oder dem Fasaneriesee, die Anbindung an die City durch U- und S-Bahn sowie gute Versorgung mit öffentlichen / sozialen Einrichtungen. Gleichwohl: Ins Auge stechen viele Betonklötze.
• Taufkirchen Am Wald • In den Siebziger Jahren in Rekordtempo auf rund einer Million Quadratmeter auf grüner Wiese aus dem Boden gestampft – fast 1000 Gebäude (auch Einfamilienhäuser) mit 3785 Einheiten, vielen Sozialwohnungen, viele davon in Hochhäusern mit bis zu 15 Stockwerken, teils mit Bergblick vom Chiemgau bis zur Zugspitze. Die Trabantenstadt, einst mit einer Stimme Mehrheit vom Gemeinderat beschlossen, hatte nicht nur finanzielle und soziale Probleme in der Kommune zur Fiolge, es kam auch zu Animositäten mit Bewohnern von Alt-Taufkirchen.
• Neuperlach • 1967 erfolgte die Grundsteinlegung für die „Siedlung, geboren aus der aktuellen Wohnungsnot“, wie es seinerzeit hieß. Geworben wurde mit dem Slogan „Stadt der Moderne“ – 42 000 Bewohner, überwiegend in bis zu 18 Etagen hohen Türmen.
• Messestadt Riem • Etwa 16 000 Menschen und 10 000 Arbeitsplätze – das sind die prägnanten Zahlen für das Stadtviertel, das auf dem Gelände des 1992 stillgelegten Flughafens entsteht bzw. noch immer weiter gebaut wird. Die Neue Messe, der riesige Riemer Park mit See mit weitläufigen Grünanlagen und das Einkaufszentrum Riem Arcaden sind (internationale) Anziehungspunkte. Wolkenkratzer gibt’s (noch) nicht, doch die massive Blockbauweise sorgt für enge und Zwistigkeiten unter den Anliegern. Auszug aus der „Abendzeitung“ vom 14. März: „Böllerattacken aufs Polizeirevier, Rauschgifthandel, Vandalismus, Angriffe auf Passanten – in der Messestadt Riem ist die Kriminalität in den vergangenen Monaten angestiegen. Im dem Hotspot haben viele Anwohner Angst.“
• Am Jagdfeld Haar • Ab 1971 gebaut, 2007 kam ein 57 Meter hoher Vierkantklotz dazu. Auf einer Fläche von etwa 100 Fußballfeldern rund 200 Häuser mit 2700 Wohnungen – für 6600 Personen. Goergens, Miklautz, Partner Architekten und Stadtplaner auf ihrer Internet-Seite: „Das Jagdfeld nimmt im Ortsgebiet eine Sonderstellung ein. Die Silhouette ist geprägt durch eine hohe Zahl großer und sehr hoher Gebäude. Darunter ist das Wohnhochhaus am See mit 15 Geschossen das bisher höchste Gebäude.“
• Freiham• Der Werbeslogan „Wenn’s mal frei ha, komm’S nach Freiham“ lädt ein – auf 350 Hektar, circa 250 Fußballfelder, wird bereits seit sieben Jahren (noch voraussichtlich bis 2040) gebaut. Endziel: Wohnraum für 25 000 Menschen und 15 000 Arbeitsplätze. Die Stadt preist den neuen Stadtteil im Westen an: „Kompakt, grün, urban: Es gibt auch viel Raum für Erholung.“Was forderte noch mal Brannekämper zur SEM Nordost: „Die Dichte muss um zwei Schritte reduziert werden.“ Ob’s im Rathaus vernommen wird? Ob’s die Planer kapieren?